Komplexversorgung: Koordinierte Versorgung für schwer psychisch erkrankte Erwachsene

Für Erwachsene mit einem komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf gibt es seit Oktober 2022 ein neues Angebot der gesetzlichen Krankenversicherung. Berufsgruppenübergreifende Netzverbünde bieten eine sogenannte Komplexversorgung an: Die Patientin oder der Patient wird multiprofessionell und bedarfsgerecht betreut. Die Details hat der G-BA in der Richtlinie zur berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten Versorgung festgelegt (KSVPsych-RL).

Für welche Versicherten ist das Angebot gedacht?

Die Komplexversorgung ist für Erwachsene insbesondere mit einer schweren psychischen Erkrankung konzipiert, die wichtige Lebensbereiche wie Familie oder Beruf nicht mehr alleine meistern können. In solchen Situationen besteht ein komplexer psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlungsbedarf.

Wer kann die Komplexversorgung anbieten?

Die Komplexversorgung wird durch regionale Netzverbünde angeboten. Für die Gründung eines solchen Netzverbundes schließen mindestens zehn Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten einen Netzverbundvertrag. Vertreten sein können die Fachdisziplinen Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Neurologie.

Zudem muss ein Netzverbund über Kooperationsverträge die Zusammenarbeit mit mindestens einer stationären Einrichtung sowie mit mindestens einer Person aus den folgenden Gesundheitsberufen nachweisen: Ergotherapie, Soziotherapie, psychiatrische häusliche Krankenpflege.

Damit Netzverbünde die Leistungen der Komplexversorgung abrechnen können, benötigen sie eine Genehmigung ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Dafür einzureichen sind der Netzverbundvertrag sowie die Kooperationsverträge. Weitere Informationen zur Gründung eines Netzverbundes bieten die jeweiligen KVen sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf ihrer Website: Psychiatrische und psychotherapeutische Komplexbehandlung

Wo gibt es bereits Netzverbünde?

Informationen zu bestehenden regionalen Netzverbünden sind auf den Websites der einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen zu finden. Informationen zu den regionalen Netzverbünden bietet die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf ihrer Website: Netzverbünde in den Regionen

Wie ist der Zugang für die Versicherten?

Die Netzverbünde bieten sogenannte Eingangssprechstunden an – in der Regel soll die Patientin oder der Patient hier innerhalb von sieben Werktagen einen Termin wahrnehmen können.

  • Eine Patientin oder ein Patient kann sich direkt bei einem Netzverbundmitglied um einen Termin für die Eingangssprechstunde bemühen.
  • An einen Netzverbund überweisen oder empfehlen können alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Sozialpsychiatrische Dienste und ermächtigte Einrichtungen, insbesondere Psychiatrische Institutsambulanzen.
  • Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen haben im Rahmen des Entlassmanagements die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten die Weiterversorgung in einem Netzverbund zu empfehlen.

In der Eingangssprechstunde wird der Behandlungsbedarf ermittelt und mit der Diagnostik begonnen. Liegen die Voraussetzungen für eine Komplexversorgung vor, soll – in der Regel ebenfalls innerhalb von sieben Werktagen – eine Differentialdiagnostik durchgeführt werden.

Was beinhaltet das Versorgungsangebot?

Eine wesentliche Rolle für die individuell zugeschnittene Komplexversorgung nehmen Bezugsärztinnen oder -ärzte bzw. Bezugspsychotherapeutinnen oder -psychotherapeuten sowie Personen ein, die die Versorgung der Patientinnen und Patienten koordinieren.

  • Eine Bezugsärztin oder ein Bezugsarzt bzw. eine Bezugspsychotherapeutin oder ein Bezugspsychotherapeut ist verantwortlich für den auf die Patientin oder den Patienten individuell zugeschnittenen Gesamtbehandlungsplan. Hier sind die individuellen Therapieziele sowie die als notwendig erachteten ärztlichen, pharmakologischen und psychotherapeutischen Maßnahmen aufgeführt. Auch der Bedarf an Heilmitteln, Soziotherapie oder psychiatrischer häuslicher Krankenpflege wird hier festgehalten. Inwieweit die Therapieziele erreicht werden oder gegebenenfalls eine Anpassung des Gesamtbehandlungsplans notwendig ist, wird regelmäßig in Fallbesprechungen mit allen an der Behandlung Beteiligten überprüft.
  • Die Koordination des patientenindividuellen Versorgungsangebots übernimmt eine Person, die beispielsweise in Sozio- oder Ergotherapie oder in psychiatrischer Krankenpflege ausgebildet ist. Sie unterstützt die Patientin oder den Patienten dabei, die einzelnen Behandlungsmaßnahmen wahrzunehmen. Hierzu gehören auch Terminvereinbarungen und ein individuelles Rückmeldesystem zum Einhalten der Termine.

Wenn keine Komplexversorgung mehr notwendig ist, wird eine Überleitung in die reguläre fachärztliche oder psychotherapeutische Versorgung angestrebt. Für diese Anschlussbehandlung wird ein Überleitungsplan erstellt, in dem die wesentlichen Informationen über den bisherigen Behandlungsverlauf enthalten sind.

Evaluation

Der G-BA beobachtet, wie das neue Versorgungskonzept in der Praxis ankommt. Hierzu gehört im ersten Schritt die Frage, in welchem Umfang sich Netzverbünde bilden und ob es Hindernisse bei der Umsetzung gibt. Im zweiten Schritt wird der G-BA systematisch evaluieren, ob die Ziele des neuen Versorgungskonzepts erreicht werden. Die Ergebnisse der ersten Fragestellung wurden in einem Zwischenbericht(PDF 1,56 MB) festgehalten, der am 30. Januar 2024 veröffentlicht wurde. Aufbauend auf den Ergebnissen des Zwischenberichtes werden derzeit Änderungen der KSVPsych-Richtlinie beraten: Aktuelles Beratungsverfahren zur KSVPsych-RL

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