Presse­mit­teilung | Methoden­be­wertung

Nicht-​invasiver Test zum Vorliegen von Trisomien als mögliche Alternative zu invasivem Eingriff

Berlin, 19. September 2019 – Der Gemeinsame Bundes­aus­schuss (G-BA) hat in seiner öffent­lichen Sitzung am Donnerstag in Berlin die Anwendungs­mög­lich­keiten und -​grenzen nicht-​invasiver moleku­lar­ge­ne­tischer Tests (NIPT) zulasten der gesetz­lichen Kranken­ver­si­cherung (GKV) abschließend beraten. Der Beschluss sieht vor, dass ein NIPT in begründeten Einzel­fällen und nach ärztlicher Beratung unter Verwendung einer Versicher­ten­in­for­mation eingesetzt werden kann. Ziel ist es, die zur Klärung der Frage des Vorliegens einer Trisomie 13, 18 oder 21 erforder­lichen invasiven Untersu­chungen – Chorion­zot­ten­biopsie (Biopsie der Plazenta) oder Amniozentese (Frucht­was­ser­un­ter­suchung) – und das damit verbundene Risiko einer Fehlgeburt nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Inanspruchnahme eines NIPT zulasten der GKV ist erst möglich, wenn die verpflichtend vorgesehene Versicher­ten­in­for­mation entwickelt und vom G-BA beschlossen wurde. Der Beschluss wird dazu voraus­sichtlich Ende 2020 gefasst. Voraus­setzung ist zudem, dass das Bundes­mi­nis­terium für Gesundheit (BMG) die Beschlüsse nicht beanstandet.

„In einem gut dreijährigen Bewertungs­ver­fahren hat der G-BA geprüft, ob die neuen moleku­lar­ge­ne­tischen Tests die derzeitigen invasiven Untersu­chungen weitgehend ersetzen können. Denn die invasive Gewinnung von Frucht­wasser oder Plazen­ta­gewebe mittels Punktion durch die Bauchdecke der Schwangeren hat als schwer­wie­gendste Kompli­kation eine Fehlgeburt zur Folge – bei 5 bis 10 von 1000 untersuchten Frauen kann dies der Fall sein. Angesichts dieses Schadens­po­tenzials und der belegten hohen Testgüte hat der G-BA nun beschlossen, NIPT zur Untersuchung auf Trisomien in den Leistungs­katalog der gesetz­lichen Kranken­kassen aufzunehmen. Die Durchführung einer Amniozentese oder einer Chorion­zot­ten­biopsie kann hiermit auf eine möglicherweise erforderliche Abklärungs­dia­gnostik beschränkt werden. Die NIPT kann zulasten der GKV aber nur in begründeten Einzel­fällen bei Schwan­ger­schaften mit besonderen Risiken durchgeführt werden und muss mit intensiver Beratung und Aufklärung verbunden sein. Durch diese sehr engen Voraus­set­zungen wird klar und eindeutig im Rahmen der Mutterschafts-​Richtlinien geregelt, dass der NIPT nicht als ethisch unvertretbares ‚Screening‘ eingesetzt wird, sondern die Anwendung des NIPT nur unter bestimmten Bedingungen vorgenommen werden kann“, sagte Prof. Josef Hecken, unpartei­ischer Vorsit­zender des G-BA anlässlich der Beschluss­fassung in Berlin.

NIPT als Leistung der GKV im begründeten Einzelfall

Bei NIPT handelt es sich um seit 2012 auf dem Markt verfügbare Tests, mit denen in der Schwan­ger­schaft das Risiko einer fetalen Trisomie 13, 18 oder 21 bestimmt werden kann. Hierbei wird die im Blut der Schwangeren vorhandene zellfreie fetale DNA moleku­lar­ge­netisch analysiert.

Ein NIPT kann zukünftig zulasten der GKV angewendet werden, wenn im Rahmen der ärztlichen Schwan­ge­ren­be­treuung die Frage entsteht, ob eine fetale Trisomie vorliegen könnte, und dies für die Schwangere eine unzumutbare Belastung darstellt. Ziel ist es, sie in dieser Situation möglichst nicht dem mit einer invasiven Untersuchung einher­ge­henden Risiko einer Fehlgeburt auszusetzen. Nur wenn ein Befund auffällig ist, bedarf es für eine gesicherte Diagno­se­stellung der Abklärung mittels eines invasiven Verfahrens. Liegen bereits Befunde vor, die eine Amniozentese oder Chorion­zot­ten­biopsie erforderlich machen, kann der Test nicht zulasten der GKV erbracht werden.

Es dürfen nur NIPT-​Verfahren verwendet werden, deren Testgüte nachweislich sehr hoch ist.

Beratung und Aufklärung zu vorgeburt­lichen genetischen Untersu­chungen

Frauen sollen dabei unterstützt werden, eine eigenständige, informierte Entscheidung darüber zu treffen, ob sie diese vorgeburtliche genetische Untersuchung für erforderlich halten. Die ärztliche Aufklärung und Beratung über das Wesen, die Bedeutung und Tragweite der genetischen Untersuchung und deren mögliche Befunde hat ausdrücklich ergebnisoffen und in verständ­licher Form stattzu­finden. Insbesondere ist von Seiten der Ärztin oder des Arztes auch das jederzeitige Recht der Schwangeren auf Nichtwissen, auch für Teilergebnisse des NIPT, zu betonen.

Im Zusammenhang mit der Fragestellung Trisomie ist von der Ärztin oder dem Arzt auf Kontakt­mög­lich­keiten mit betroffenen Familien hinzuweisen.

Ärztinnen und Ärzte, die Schwangere vor und nach Durchführung des Tests aufklären und beraten, müssen über eine Qualifi­kation gemäß dem Gendia­gnos­tik­gesetz und den Richtlinien der Gendiagnostik-​Kommission verfügen.

Für die ärztliche Beratung lässt der G-BA vom Institut für Qualität und Wirtschaft­lichkeit (IQWiG) eine zweiteilige Versicher­ten­in­for­mation entwickeln: In einem allgemeinen Teil werden die in Deutschland erbringbaren Möglich­keiten der vorgeburt­lichen Diagnostik genetisch bedingter Erkran­kungen erläutert. In einem weiteren Teil sind die spezifischen Möglich­keiten und die Bedeutung der Ergebnisse der Pränatal­dia­gnostik zur Bestimmung des Risikos von Trisomien dargestellt. Mit dem getroffenen Beschluss zur NIPT kann das IQWiG die bereits begonnene Erarbeitung der Versicher­ten­in­for­mation fortsetzen. Dazu gehört auch eine umfang­reiche Nutzerin­nen­testung der Materialien.

Inkraft­treten des Beschlusses erst mit Vorliegen der Versicher­ten­in­for­mation

Der getroffene Beschluss zur Anwendung von NIPT wird nun dem Bundes­mi­nis­terium für Gesundheit (BMG) zur rechtlichen Prüfung vorgelegt. Bei Nichtbe­an­standung durch das BMG werden die beschlossenen Anwendungs­mög­lich­keiten erst mit Vorliegen der Versicher­ten­in­for­mation in Kraft treten. Der Beschluss des G-BA zur Versicher­ten­in­for­mation ist für Ende 2020 geplant.

Zum Hintergrund: Das Verfahren zur Bewertung von nicht-​invasiven Tests zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 bei Schwan­ger­schaften mit besonderen Risiken

In den Richtlinien über die ärztliche Betreuung während der Schwan­ger­schaft und nach der Entbindung (Mutterschafts-​Richtlinien) sind Art, Umfang und Voraus­set­zungen der Leistungen im Rahmen der gesetz­lichen Kranken­ver­si­cherung geregelt. Die Überprüfung, ob eine neue Untersuchungs-​ oder Behand­lungs­methode nach dem wissen­schaft­lichen Stand der Erkenntnisse in die Mutterschafts-​Richtlinien aufzunehmen ist, erfolgt im Rahmen eines sogenannten Methoden­be­wer­tungs­ver­fahrens. Hierbei bewertet der G-BA den Nutzen, die medizi­nische Notwen­digkeit und Wirtschaft­lichkeit.

Die wesent­lichen Schritte, die der G-BA bei einem solchen Methoden­be­wer­tungs­ver­fahren einzuhalten hat, sind gesetzlich festgelegt: von der Antrag­stellung über die wissen­schaft­lichen Entschei­dungs­grundlagen und das Stellung­nah­me­ver­fahren bis hin zur Beschluss­fassung. Diese Schritte sind in der Verfah­rens­ordnung des G-BA nochmals konkre­tisiert festge­halten.

Ausgelöst durch einen Antrag eines Medizin­pro­dukte­her­stellers wurde der G-BA mit der Beratung zur Erprobung der Methode „nicht-​invasive Pränatal­dia­gnostik zur Bestimmung des Risikos von fetaler Trisomie 21 mittels eines moleku­lar­ge­ne­tischen Tests“ befasst.

Angesichts der bereits vorhandenen Studienlage fasste der G-BA im August 2016 den Beschluss, die Beratungen zur Erprobung ruhend zu stellen und ein Bewertungs­ver­fahren der nicht-​invasiven Pränatal­dia­gnostik zur Bestimmung des Risikos von fetaler Trisomie 13, 18 und 21 mittels moleku­lar­ge­ne­tischer Tests bei Schwan­ger­schaften mit besonderen Risiken einzuleiten. Das Bewertungs­ver­fahren sollte der Klärung dienen, ob und wie im Vergleich zu den seit 1975 im Rahmen der GKV erbringbaren invasiven Untersu­chungen wie der Chorion­zot­ten­biopsie (Biopsie der Plazenta) bzw. Amniozentese (Frucht­was­ser­un­ter­suchung) ein nicht-​invasiver moleku­lar­ge­ne­tischer Test eingesetzt werden kann.

Das Institut für Qualität im Gesund­heitswesen (IQWiG) wertete im Auftrag des G-BA Studien zur Frage der diagnos­tischen Eigenschaften nicht-​invasiver Pränatal­dia­gnostik zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 mittels eines moleku­lar­ge­ne­tischen Tests (NIPT) bei Schwangeren mit besonderen Risiken aus.

Mit Beschluss vom 16. Februar 2017 beauftragte der G-BA das IQWiG zudem mit der Erstellung einer Versicher­ten­in­for­mation.

Der Abschluss­bericht des IQWiG bildete – neben den anlässlich der Veröffent­lichung des Beratungs­themas eingegangenen ersten Einschät­zungen einschließlich der dort benannten Literatur – eine wesentliche Grundlage für die Beratungen im G-BA zur Änderung der Mutterschafts-​Richtlinien.

Zu den geplanten Anwendungs­mög­lich­keiten eines NIPT bei Schwan­ger­schaften mit besonderen Risiken leitete der G-BA im März 2019 das Stellung­nah­me­ver­fahren ein und veröffent­lichte den entspre­chenden Beschluss­entwurf. Wissen­schaftliche Fachge­sell­schaften, die Bundes­ärz­te­kammer, der Deutsche Ethikrat, die Gendiagnostik-​Kommission und zahlreiche weitere Organi­sa­tionen wurden aufgefordert, die vorgesehenen Änderungen der Mutterschafts-​Richtlinien fachlich zu prüfen. Die Gremien des G-BA setzten sich mit den insgesamt 30 eingegangenen Stellung­nahmen auseinander.

Weiter­führende Informa­tionen


Beschluss zu dieser Presse­mit­teilung

Mutterschafts-​Richtlinien: Nicht-​invasive Pränatal­dia­gnostik zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 mittels eines moleku­lar­ge­ne­tischen Tests (NIPT) für die Anwendung bei Schwan­ger­schaften mit besonderen Risiken