Presse­mit­teilung | Arznei­mittel

Zolgensma®: G-BA verbindet Anwendung der Gentherapie mit hohen Qualitäts­standards

Berlin, 20. November 2020 – Alle Einrich­tungen, die das neuartige Genthe­ra­peutikum Zolgensma® bei Säuglingen und Kleinkindern mit spinaler Muskela­trophie (SMA) einsetzen wollen, müssen im Interesse der Patien­ten­si­cherheit zukünftig hohe Qualitäts­standards einhalten. So sieht es der heute getroffene Beschluss des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses (G-BA) vor. Ziel der vom G-BA definierten Qualitäts­standards ist es, die besten Voraus­set­zungen für eine erfolg­reiche Behandlung der jungen Patien­tinnen und Patienten zu schaffen.

Wesentliche Punkte der qualitäts­si­chernden Anforde­rungen betreffen die Infrastruktur und Organi­sation der medizi­nischen Einrich­tungen. Nachweislich müssen sie zudem über eine pflege­rische und fachärztliche Kompetenz in der Behandlung von neuromus­kulären Erkran­kungen und speziell der SMA verfügen. Der heute gefasste Beschluss des G-BA tritt in Kraft, wenn das Bundes­mi­nis­terium für Gesundheit innerhalb von zwei Monaten keine rechtlichen Einwände erhebt. Bestehende Behand­lungs­ein­rich­tungen müssen anschließend innerhalb von 6 Monaten nachweisen, dass sie die Anforde­rungen erfüllen.

„Eltern genauso wie die behandelnden Ärztinnen und Ärzte verknüpfen riesige Hoffnungen und Erwartungen mit der genthe­ra­peu­tischen Behandlung von Kindern mit spinaler Muskela­trophie. Denn bislang gibt es kaum Therapie­al­ter­nativen. Und der Hersteller verspricht Heilung bei einer einmaligen Anwendung. Der Therapie­ansatz zur Behandlung dieser seltenen und hoch komplexen Erkrankung ist komplett neuartig, deshalb wissen wir naturgemäß leider noch wenig über akute und langfristige Nebenwir­kungen oder Kompli­ka­tionen. Hinzukommt, dass die Datenlage zu diesem Orphan Drug, also einem Arznei­mittel gegen seltene Krankheiten, derzeit sehr schwach ist. Der G-BA hat deshalb im Sinne der Patien­ten­si­cherheit bewusst hohe fachliche Anforde­rungen an die Erfahrungen der Einrich­tungen in Bezug auf die Differen­ti­al­dia­gnostik, die Anwendung und die Nachsorge definiert, um die Therapie auf besonders spezia­li­sierte Behand­lungs­ein­rich­tungen zu konzen­trieren. Kranken­häuser, die diese Qualitäts­an­for­de­rungen nachweislich erfüllen, sollten aus Sicht des G-BA keine Einzel­fall­anträge zu der Arznei­mit­tel­therapie mehr stellen müssen. Dieser für die Leistungs­er­bringer sehr wichtige Punkt sollte jedoch auch gesetzlich klarge­stellt werden. Einen entspre­chenden Vorschlag haben die drei unpartei­ischen Mitglieder in die Diskussion um das Gesund­heits­ver­sor­gungs­wei­ter­ent­wick­lungs­gesetz eingebracht“, erläuterte Prof. Josef Hecken, unpartei­ischer Vorsit­zender des G-BA und Vorsit­zender des Unteraus­schusses Arznei­mittel.

Zudem gibt Prof. Hecken einen Ausblick auf weitere Zolgensma®-​Beschlüsse: „Bei den Plenumssit­zungen Mitte Dezember und voraus­sichtlich auch Anfang Februar wird Zolgensma® ebenfalls eine Rolle spielen. Trotz der bislang unvoll­ständigen Datenlage wird der G-BA im Dezember das Bewertungs­ver­fahren zum Ausmaß des Zusatz­nutzens von Zolgensma® vorläufig abschließen – da es sich um ein Orphan Drug handelt, gilt der Zusatz­nutzen aufgrund einer gesetz­lichen Grundsatz­ent­scheidung bereits als gegeben. In unseren Entschei­dungs­un­terlagen werden wir auch darstellen, was wir zum therapeu­tischen Nutzen und den Nebenwir­kungen derzeit wissen. Das sind gerade für behandelnde Ärztinnen und Ärzte nochmals wertvolle Informa­tionen. Für Anfang Februar ist ein Beschluss geplant, mit dem wir zum ersten Mal in die sogenannte anwendungs­be­gleitende Datener­hebung einsteigen werden: Bei Zolgensma® wollen wir aus der laufenden Versorgung der Patien­tinnen und Patienten Daten gewinnen, um den therapeu­tischen Stand des Arznei­mittels im Vergleich zu Alternativen besser beurteilen zu können. Denn bei Zolgensma® lagen zum Zeitpunkt der Zulassung noch keine vollständigen klinischen Daten zur Beurteilung des langfristigen Zusatz­nutzens vor.“

Zolgensma® zur Behandlung der spinalen Muskela­trophie (SMA)

Die SMA ist eine seltene, genetisch bedingte neuromus­kuläre Erkrankung. Sie geht einher mit Muskel­schwäche und Skelett­ver­for­mungen und führt in der schwersten Form unbehandelt zum Tod. Jährlich werden in Deutschland ca. 80 bis 120 Kinder (davon mindestens die Hälfte mit SMA Typ 1, der schwersten Form der SMA) mit dieser genetischen Krankheit geboren. Die wenigen Behand­lungs­mög­lich­keiten beschränken sich derzeit (neben der Therapie mit Zolgensma®) je nach Erkran­kungsbild auf eine dauerhafte Gabe des Antisense-​Oligonukleotids Spinraza® (Nusinersen) oder auf eine patien­ten­in­di­viduell optimierte, unterstützende Behandlung, um Symptome zu lindern und die Lebens­qualität zu verbessern.

Zolgensma® kann in Deutschland seit dem 1. Juli 2020 bei der Behandlung der SMA eingesetzt werden. Es handelt sich um eine Gentherapie, die bei bestimmten Formen der SMA eine Kopie des fehlenden Gens liefert und entsprechend frühzeitig in den Krankheits­verlauf eingreifen soll, um das Fortschreiten der Muskel­schwäche aufzuhalten. Zolgensma® wird einmalig angewendet.

Beschlossene Anforde­rungen an Diagnostik, Anwendung und Nachsorge

Die Qualitäts­an­for­de­rungen konzen­trieren sich auf den Einsatz von Zolgensma® bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern. Die Zulassung dieses Arznei­mittels schränkt nicht dessen Anwendung auf eine bestimmte Alters­gruppe ein. Es ist jedoch aufgrund der bislang begrenzten Erfahrungen mit Patien­tinnen und Patienten älter als 2 Jahre oder schwerer als 13,5 kg davon auszugehen, dass die Anwendung bei älteren Patien­tinnen und Patienten seltener erfolgt.

Im Bereich der Diagno­se­stellung will der G-BA mit seinen Anforde­rungen sicher­stellen, dass die Voraus­set­zungen für den Einsatz von Zolgensma® gegeben sind. Insbesondere muss moleku­lar­ge­netisch abgeklärt werden, dass bei der klinisch diagnos­ti­zierten SMA genau die Gendefekte vorliegen, die mit Zolgensma® behandelt werden können.

Bezogen auf die Infrastruktur der medizi­nischen Einrichtung sowie ihre pflege­rische und fachärztliche Kompetenz gibt der G-BA vor, dass die Anwendung von Zolgensma® ausschließlich durch Fachärz­tinnen und Fachärzte für Kinder-​ und Jugend­medizin mit Schwerpunkt Neuropäd­iatrie erfolgt. Dadurch soll das Risiko von Kompli­ka­tionen sinken. Zugleich soll abgesichert werden, dass Patien­tinnen und Patienten optimal und unverzüglich betreut werden, sollten Kompli­ka­tionen dennoch einmal auftreten. Hierzu gehört auch, dass die Einrichtung anhand von Fallzahlen ihre Erfahrung in der Behandlung von neuromus­kulären Erkran­kungen und insbesondere auch der SMA belegen muss. Diese Erfahrungswerte können beispielsweise über die Meldung der Behand­lungen an das Register für Patienten mit spinaler Muskela­trophie, dem SMArtCARE-​Register, dokumentiert werden.

Aufgrund des bislang unbekannten Nebenwir­kungs­profils bei diesem neuartigen Therapie­prinzip definiert der G-BA einen speziellen Plan für die ambulante Nachsorge. Vorgesehen ist, dass die Patien­tinnen und Patienten mindestens 15 Jahre nachbe­ob­achtet werden und hierzu in genau festge­legten Intervallen untersucht werden.

Inkraft­treten

Der Beschluss wird dem Bundes­mi­nis­terium für Gesundheit zur Prüfung vorgelegt und tritt nach Nichtbe­an­standung und Veröffent­lichung im Bundes­an­zeiger in Kraft.

Hintergrund: Qualitäts­ge­si­cherte Anwendung von Onasemnogen-​Abeparvovec als Arznei­mittel für neuartige Therapien (ATMP)

Der Wirkstoff Onasemnogen-​Abeparvovec gehört zur Gruppe der Arznei­mittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP). Mit dem im August 2019 in Kraft getretenen Gesetz für mehr Sicherheit in der Arznei­mit­tel­ver­sorgung (GSAV) erhielt der G-BA die neue Aufgabe, in einer Richtlinie qualitäts­si­chernde Anforde­rungen an die vertrags­ärztliche und stationäre Anwendung von ATMP festzulegen. Dabei geht es insbesondere um die notwendige Qualifi­kation der Leistungs­er­bringer und um strukturelle Anforde­rungen. Der G-BA kann die Anforde­rungen auch indika­ti­ons­bezogen oder bezogen auf Arznei­mit­tel­gruppen festlegen.

Der auf Basis der neuen gesetz­lichen Regelungen getroffene Beschluss über Maßnahmen zur Qualitäts­si­cherung bei der Anwendung von Onasemnogen-​Abeparvovec bei spinaler Muskela­trophie (SMA) wird Bestandteil der neuen Richtlinie zu Anforde­rungen an die Qualität der Anwendung von Arznei­mitteln für neuartige Therapien gemäß § 136a Absatz 5 SGB V (ATMP-​Qualitätssicherungs-Richtlinie – ATMP-​QS-RL).


Beschluss zu dieser Presse­mit­teilung

Maßnahmen zur Qualitäts­si­cherung nach § 136a Absatz 5 SGB V: Onasemnogen-​Abeparvovec bei spinaler Muskela­trophie