Depressionen können zukünftig in Disease-Management-Programmen behandelt werden
Berlin, 15. August 2019 – Patientinnen und Patienten, die an wiederkehrenden oder lang andauernden Depressionen leiden, können zukünftig in einem strukturierten Behandlungsprogramm (Disease-Management-Programm, DMP) behandelt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am Donnerstag in Berlin die Details zur inhaltlichen Ausgestaltung des neuen DMP beschlossen. Hierbei geht es um die Festlegung der Zielgruppe des Behandlungsangebots, die Therapieziele und -planung sowie Empfehlungen für die therapeutischen Maßnahmen. Patientinnen und Patienten können sich in das Programm einschreiben lassen, nachdem die gesetzlichen Krankenkassen mit Ärztinnen und Ärzten und/oder Krankenhäusern Verträge zur praktischen Umsetzung des DMP abgeschlossen haben.
„Die Behandlung von mittel- und schwergradigen Depressionen ist durch die Kombination von therapeutischen Interventionen mit entsprechend unterschiedlichen Leistungserbringern oft sehr komplex, der Vernetzungsaufwand entsprechend hoch. Das Behandlungsprogramm, das der G-BA auf der Grundlage evidenzbasierter Leitlinien entwickelt hat, setzt genau hier an: Auf der Basis einer sicheren Diagnosestellung soll das DMP eine leitliniengerechte und zielgenaue Therapie gewährleisten, die in Abhängigkeit vom Schweregrad und Verlauf der Depression erfolgt und auch die verschiedenen Lebensphasen der Patientin oder des Patienten als wichtigen Faktor berücksichtigt“, betonte Prof. Dr. Elisabeth Pott, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses DMP.
Das DMP richtet sich an Patientinnen und Patienten mit chronischer Depression oder wiederholt auftretenden depressiven Episoden mittel- bis schwergradiger Ausprägung. Das gleichzeitige Vorliegen von psychischen oder körperlichen Erkrankungen, beispielsweise Angststörungen, Alkoholabhängigkeit, Tumorerkrankungen oder Diabetes mellitus, ist explizit kein Ausschlusskriterium für eine Teilnahme am DMP – aufgrund der Bedeutung von Komorbiditäten bei Depression wurde die adäquate Diagnostik und Behandlung von Komorbiditäten als eigenständiges Therapieziel in das DMP aufgenommen. Tritt die Depression hingegen als Folge einer körperlichen Grunderkrankung auf, ist ein Einschreiben in das DMP nicht möglich, da hier die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund steht. Eine Teilnahme am DMP kann jedoch erfolgen, wenn die Depression als Komorbidität zu werten ist.
Ob die Ein- und Ausschlusskriterien für eine Einschreibung in das DMP Depression vorliegen, wird von Hausärztinnen und Hausärzten oder spezialisierten Leistungserbringern, beispielsweise Fachärztinnen und Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie geprüft.
Das DMP nennt eine Reihe von Therapiezielen, die mit der Patientin oder dem Patienten besprochen und individuell festgelegt werden sollen, beispielsweise die Verminderung der depressiven Symptomatik mit dem Ziel einer vollständigen Remission der Erkrankung und die Verbesserung der psychosozialen Fähigkeiten, um eine selbstbestimmte Lebensführung zu unterstützen.
Die therapeutischen Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der festgelegten Therapieziele individuell geplant: Gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt entscheidet die Patientin oder der Patient über die Behandlung. Die Auswahl der therapeutischen Interventionen richtet sich nach dem Schweregrad der Depression, dem bisherigen Erkrankungsverlauf, etwaigen psychischen und körperlichen Begleiterkrankungen sowie dem Alter.
Aufgrund des erhöhten Suizidrisikos bei depressiv Erkrankten ist es Bestandteil des DMP, bei der Patientin oder dem Patienten eine etwaige Suizidgefährdung im Rahmen der Diagnostik und auch im Behandlungsverlauf zu überprüfen und gegebenenfalls konkrete Unterstützungsangebote zu initiieren.
Wissenschaftliche Grundlage des neuen DMP bildet insbesondere die Leitliniensynopse für ein DMP Depression des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Der G-BA legt den Beschluss nun dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Prüfung vor. Nach Nichtbeanstandung treten die Anforderungen an das DMP Depression am ersten Tag des auf die Veröffentlichung im Bundesanzeiger folgenden Quartals in Kraft.
Hintergrund – Disease-Management-Programme
Disease-Management-Programme (DMP) sind strukturierte Behandlungsprogramme. Ziel dieser Programme ist es, den sektorenübergreifenden Behandlungsablauf und die Qualität der medizinischen Versorgung von chronisch kranken Menschen zu verbessern.
Der G-BA hat gemäß § 137f SGB V die Aufgabe, chronische Erkrankungen auszuwählen, die für ein DMP geeignet sind, sowie die Anforderungen an solche Programme festzulegen und regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Hierbei geht es insbesondere um die medizinische Behandlung nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft, aber auch um Qualitätssicherungsmaßnahmen, Anforderungen an die Einschreibung der Versicherten in ein Programm, Schulungen der Leistungserbringer und der Versicherten. Zudem sind Vorgaben für die Dokumentation und die Evaluation festzulegen. Die Anforderungen an die DMP und die Dokumentation sind in der DMP-Anforderungen-Richtlinie geregelt.
Die praktische Umsetzung der DMP erfolgt auf der Basis regionaler Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern (Vertragsärztinnen und -ärzten/Krankenhäusern). Vor Vertragsabschluss prüft das Bundesversicherungsamt, ob die in der Richtlinie des G-BA festgelegten Anforderungen an ein DMP eingehalten werden – nur dann können sie vom Bundesversicherungsamt zugelassen werden.
Im Jahr 2017 waren 6,8 Millionen Versicherte in einem oder mehreren DMP eingeschrieben und 9.173 Programme vom Bundesversicherungsamt zugelassen.
Zu folgenden Erkrankungen gibt es derzeit DMP-Anforderungen:
- Asthma bronchiale
- Brustkrebs
- Chronische Herzinsuffizienz
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
- Chronischer Rückenschmerz (noch nicht in Kraft)
- Diabetes mellitus Typ 1
- Diabetes mellitus Typ 2
- Koronare Herzkrankheit
Zu folgenden weiteren chronischen Erkrankungen werden derzeit DMP-Anforderungen entwickelt:
- Osteoporose
- Rheumatoide Arthritis