Pres­se­mit­tei­lung | Metho­den­be­wer­tung

BMG hätte bei Lipo­suk­tion längst handeln können – „Metho­den­be­wer­tung super light“ führt zurück ins medi­zi­ni­sche Mittel­alter

Berlin, 11. Januar 2019 – Zu dem am 10. Januar 2019 bekannt gewor­denen fach­fremden Ände­rungs­an­trag Nr. 28 zum Terminservice-​ und Versor­gungs­ge­setz (TSVG) – Verord­nungs­er­mäch­ti­gung des Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­te­riums (BMG) zur Aufnahme weiterer Untersuchungs-​ und Behand­lungs­me­thoden in den Leis­tungs­um­fang der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung – erklärt der Vorsit­zende des Gemein­samen Bundes­aus­schusses, Prof. Josef Hecken, heute in Berlin:

„Mit einer solchen Ermäch­ti­gung des BMG wäre der Weg in die Belie­big­keit und Staats­me­dizin vorpro­gram­miert. Per Minis­ter­ver­ord­nung könnten Behand­lungs­me­thoden, deren Nutzen und Schaden völlig unge­klärt sind, nach Belieben und poli­ti­scher Oppor­tu­nität in die gesetz­liche Kran­ken­ver­si­che­rung gelangen. Dies wäre ein voll­stän­diger System­bruch.

Das BMG hätte nach geltender Rechts­lage schon längst die Möglich­keit gehabt, eine Behand­lungs­me­thode – auch die Lipo­suk­tion beim Lipödem – zur Kassen­leis­tung zu machen, wenn es der Auffas­sung gewesen wäre, dass sie trotz fehlender wissen­schaft­li­cher Belege Pati­en­tinnen zur Verfü­gung stehen müsse. Hätte das BMG – wie durch das Gesetz ermög­licht – vom G-BA eine Beschluss­fas­sung inner­halb von 6 Monaten verlangt und wäre diese Frist fruchtlos verstri­chen, wäre die Leis­tung per Gesetz Bestand­teil der Regel­ver­sor­gung geworden. Die hieraus folgenden Risiken für die Gesund­heit der Pati­en­tinnen und die hieran anknüp­fenden Rechts­ri­siken hätten aller­dings von der Bundes­re­gie­rung getragen werden müssen, wozu man offen­kundig dann doch nicht bereit war. Es ist deshalb nicht nach­voll­ziehbar und unge­recht­fer­tigt, dem G-BA hier Untä­tig­keit bzw. Verzö­ge­rung vorzu­werfen. Auch sind die Beschlüsse in diesem wegen der unsi­cheren Studi­en­lage leider lang­wie­rigen G-​BA-Verfahren vom BMG nicht bean­standet worden.

Nun liegt ein völlig system­fremder, über­zo­gener und unan­ge­mes­sener Vorschlag in Gestalt einer Verord­nungs­er­mäch­ti­gung auf dem Tisch, mit der ohne jede Evidenz für 70 Millionen GKV-​Versicherte nach poli­ti­schem Belieben oder Kalkül Untersuchungs-​ und Behand­lungs­me­thoden in die Regel­ver­sor­gung gelangen könnten.

Der geplante neue § 94a SGB V kann nur als ‚Metho­den­be­wer­tung super light‘ bezeichnet werden und ist ein Schritt zurück ins medi­zi­ni­sche Mittel­alter, denn er ersetzt in der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land die mitt­ler­weile sich welt­weit sogar in Schwel­len­län­dern als Stan­dard durch­set­zende evidenz­ba­sierte Medizin durch früher geltende Prin­zi­pien der eminenz­ba­sierten Medizin, die jahr­hun­der­te­lang Grund­lage für unwirk­same und gefähr­liche Anwen­dungen war, wie etwa den Ader­lass.

Die aus gutem Grund vom Gesetz­geber im SGB V veran­kerte Bindung der Versor­gungs­ent­schei­dungen an die Prin­zi­pien der evidenz­ba­sierten Medizin wird damit über Bord geworfen. Aus gutem Grund müssen Leis­tungen der Kran­ken­kassen nach den grund­le­genden Anfor­de­rungen des SGB V dem Qualitäts-​ und Wirt­schaft­lich­keits­gebot entspre­chen. Dies beinhaltet nach stän­diger Recht­spre­chung und nach allen wissen­schaft­li­chen Krite­rien einen Wirk­sam­keits­nach­weis, der zumin­dest ein posi­tives Nutzen-​Schaden-Verhältnis voraus­setzt – ein elemen­tarer Schutz vor unnützen oder gar schäd­li­chen Behand­lungen. Auf diesen Wirk­sam­keits­nach­weis soll nunmehr ausdrück­lich verzichtet werden. Dies kann Pati­en­tinnen und Pati­enten direkt gefährden, insbe­son­dere in den Fällen, in denen der G-BA nach einer Bewer­tung eine Methode wegen eines fehlenden Wirk­sam­keits­nach­weises nicht in die Regel­ver­sor­gung aufge­nommen oder sie sogar ausge­schlossen hat. Darüber hinaus verstößt die geplante ‚Metho­den­be­wer­tung super light‘ gegen das als Grund­prinzip postu­lierte Wirt­schaft­lich­keits­gebot, durch das die Versi­cher­ten­ge­mein­schaft vor Über­for­de­rung durch den Ausschluss von nach dem Stand der wissen­schaft­li­chen Erkennt­nisse nicht nütz­li­chen Inter­ven­tionen aus der Finan­zie­rung durch die GKV geschützt werden soll. Diese Norm gewinnt ange­sichts des rasanten medizinisch-​technischen Fort­schritts und der demo­gra­phi­schen Verän­de­rung, die erheb­liche Ausga­ben­stei­ge­rungen erwarten lässt, zuneh­mend an Bedeu­tung. Auch sie würde durch den geplanten § 94a SGB V auf dem Altar von Parti­ku­lar­in­ter­essen einzelner Leis­tungs­er­bringer oder Medi­zin­pro­dukte­her­steller geop­fert.“

Hinter­grund

Der G‑BA hatte am 18. Januar 2018 die Eckpunkte für die Studie zur Erpro­bung der Lipo­suk­tion (Fett­ab­sau­gung) bei Lipödem beschlossen. Mit Hilfe der Studie sollen drin­gend benö­tigte Erkennt­nisse über die Vor- und Nach­teile der Lipo­suk­tion gegen­über einer allei­nigen nicht­ope­ra­tiven Behand­lung gewonnen werden. Im Juli 2017 war der G-BA zu der Fest­stel­lung gelangt, dass zu dieser Methode keine ausrei­chende Evidenz für einen Nutzen­beleg vorliegt, dass sie aber das Poten­zial einer erfor­der­li­chen Behand­lungs­al­ter­na­tive bietet. Um eine abschlie­ßende Entschei­dung darüber treffen zu können, ob diese Opera­tion künftig ambu­lant zulasten der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung (GKV) erbracht werden kann und welcher Quali­täts­si­che­rungs­vor­gaben es hierfür ggf. bedarf, ist die Studie notwendig. Die für die nähere Ausge­stal­tung des Studi­en­de­signs sowie die Durch­füh­rung und Auswer­tung der Erpro­bungs­studie notwen­dige Beauf­tra­gung einer unab­hän­gigen wissen­schaft­li­chen Insti­tu­tion wird in Kürze abge­schlossen.