Verordnungsfähigkeit homöopathischer und anthroposophischer Arzneimittel: BSG bestätigt Rechtsauffassung des G-BA
Kassel/Berlin, 16. Mai 2011 – Rezeptfreie homöopathische und anthroposophische Arzneimittel sind beschränkt auf die in der Arzneimittel-Richtlinie (Anlage I, OTC-Übersicht) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) angegebenen Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen verordnungsfähig. Ärztinnen und Ärzte können Arzneimittel der „besonderen Therapierichtungen“ zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnen, wenn diese als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung für diejenigen Indikationsgebiete angezeigt sind, die der in der OTC-Übersicht gelisteten Indikation einschließlich der dort beschriebenen Therapieziele entsprechen. Das hat der 6. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) am Mittwoch in Kassel entschieden und damit die Rechtsauffassung des G-BA im Zusammenhang mit den anthroposophischen Mistel-Präparaten bestätigt (Az.: B 6 KA 25/10 R).
Hintergrund ist eine zum 1. Januar 2004 in Kraft getretene Regelung, nach der alle nicht verschreibungspflichtigen Medikamente grundsätzlich von gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten selbst bezahlt werden (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Kinder bis zum 12. Lebensjahr und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen sind von der Regelung ausgenommen. Der G-BA hatte bei dieser gesetzlichen Neuregelung die Aufgabe, erstmals bis zum 31. März 2004 Ausnahmen vom gesetzlichen Verordnungsausschluss sogenannter OTC-Präparate zu beschließen. Die entsprechende Übersicht enthält Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten.
Auslöser des mehrjährigen Rechtsstreites war die Klage des G-BA gegen eine Beanstandung des damaligen Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) im Zusammenhang mit der Konkretisierung der OTC-Übersicht („over-the-counter“, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel).
Um entsprechend der gesetzlichen Vorgabe der Therapievielfalt Rechnung zu tragen, hatte der G-BA eine rechtliche Gleichstellung von in der OTC-Übersicht aufgenommenen allopathischen und phytotherapeutischen Arzneimitteln und Präparaten der Anthroposophie und Homöopathie vorgenommen. Die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen sollten unter der Voraussetzung verordnungsfähig sein, dass sie beschränkt auf die standardmäßige Anwendung bei schwerwiegenden Erkrankungen als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung gelten.
In der Folge entstand für Mistel-Präparate eine Auseinandersetzung darüber, ob sich diese Gleichstellung nur auf die Erkrankung – in diesem Fall "maligne Tumoren" – bezieht, oder ob damit auch das Therapieziel "in der palliativen Therapie ... zur Verbesserung der Lebensqualität" umfasst sei.
Befürworter der anthroposophischen Therapierichtung vertraten die Rechtsauffassung, die Bezugnahme umfasse nur die Voraussetzung des Vorliegens der schwerwiegenden Erkrankung "maligne Tumoren", so dass das anthroposophische Mistel-Präparat Helixor auch für die kurative, adjuvante Therapie maligner Tumoren verordnet werden dürfe.
Der G-BA sah dies als Fehlinterpretation seiner Regelung an und beschloss deshalb im Dezember 2004, im Anschluss an das Wort "Indikationsgebiete" zur Klarstellung den Passus "und Anwendungsvoraussetzungen" einzufügen. Das damalige BMGS beanstandete diesen Beschluss. Die hiergegen gerichtete Klage des G-BA blieb in den Vorinstanzen erfolglos.