Bundessozialgericht: Keine Gesprächspsychotherapie auf Kassenkosten
Siegburg/Kassel, 3. November 2009 – In einem letztinstanzlichen Urteil hat das Bundessozialgericht (BSG) den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in seiner Entscheidung bestätigt, die Gesprächspsychotherapie nicht als Richtlinienverfahren der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in seine Psychotherapie-Richtlinie aufzunehmen (Aktenzeichen B 6 KA 45/08 R und B 6 KA 11/09 R). Das höchste deutsche Sozialgericht bestätigte damit am vergangenen Mittwoch in Kassel Urteile der Landessozialgerichte (LSG) Baden-Württemberg und Hessen.
Lediglich in leistungsrechtlicher Hinsicht hat das BSG einen Anspruch von Versicherten auf Behandlung mit Gesprächspsychotherapie für möglich gehalten. Dies gelte jedoch nur dann, wenn die Patienten mit hinreichender Sicherheit ausschließlich an Depressionen erkrankt sind und nicht an weiteren psychischen Störungen leiden (sogenannte Komorbidität).
„Das BSG hat eine besonnene und ausgewogene Entscheidung im Interesse der Versichertengemeinschaft getroffen, die zugleich die Richtlinien-Kompetenz des G-BA in diesem wichtigen Bereich der GKV betont. Das sogenannte „Schwellenkriterium“ wurde als angemessener Maßstab für die Aufnahme von Psychotherapieverfahren in die breite, indikationsübergreifende Versorgung der Versicherten nunmehr auch höchstrichterlich anerkannt. Ein anders lautendes Urteil hätte zu einem grundlegenden Umbruch der psychotherapeutischen Versorgung führen können, mit negativen Folgen für die Qualität der Behandlung“, sagte Dr. Rainer Hess, Unparteiischer Vorsitzender des G-BA.
„Aus gutem Grund ist ein wesentliches Kriterium für die umfassende Aufnahme eines Psychotherapieverfahrens in den Leistungskatalog eine ausreichend breite Versorgungsrelevanz. Diese konnte für die Gesprächspsychotherapie bislang nicht anhand wissenschaftlicher Belege nachgewiesen werden.“ Nur dadurch könne zum Wohl von Patientinnen und Patienten sichergestellt werden, dass mit einem psychotherapeutischen Therapieansatz möglichst viele verschiedene psychische Erkrankungen in ausreichendem Umfang qualitätsgesichert behandelt werden könnten, sagte Hess. Kritisch wertete er deswegen auch den Hinweis in der Begründung des Urteils, wonach im Einzelfall bei einer eindeutig auf Depression begrenzten Behandlungsnotwendigkeit ein Erstattungsanspruch des Versicherten aus der Inanspruchnahme eines Gesprächspsychotherapeuten nach § 13 Abs. 3 SGB V entstehen könnte.
Hintergrund der Urteile waren die Klagen von Psychotherapeuten gegen die Kassenärztlichen Vereinigungen Baden-Württemberg und Hessen auf Anerkennung eines so genannten Fachkundenachweises nach § 95c SGB V. Das Vorliegen dieses Nachweises ist eine Voraussetzung für die Zulassung als Vertragspsychotherapeutin oder Vertragspsychotherapeut beziehungsweise für die Erteilung einer Abrechnungserlaubnis in einem Psychotherapieverfahren. Nur zugelassene Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten dürfen Leistungen zu Lasten der GKV erbringen.
Ein solcher Nachweis kann nach dem SGB V aber nur geführt werden, wenn die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut die vertiefte Ausbildung in einem psychotherapeutischen Verfahren absolviert hat, das der G-BA als Richtlinienverfahren anerkannt hat. Diese Anerkennung hat der G-BA der Gesprächspsychotherapie bislang verwehrt, da Wirksamkeit und Nutzen nicht für die Behandlung der wichtigsten, versorgungsrelevanten psychischen Erkrankungen in ausreichender Breite wissenschaftlich belegt sind.
Die Kläger hatten geltend gemacht, dass die Gesprächspsychotherapie allein schon aufgrund einer vorliegenden berufsrechtlichen Anerkennung zu Lasten der GKV erbringbar sein müsse. Die Kläger sahen insoweit ihr verfassungsmäßiges Grundrecht auf Berufsausübung verletzt, da die Gesprächspsychotherapie durch den G-BA nicht in den Katalog abrechenbarer GKV-Leistungen aufgenommen worden war.
Dieser Ansicht ist das BSG nicht gefolgt und sieht demgegenüber den G-BA als zentrales Beschlussgremium der GKV durchaus berechtigt, in seinen Richtlinien über reine berufsrechtliche Regelungen hinauszugehen. Der G-BA hatte am 25. April 2008 beschlossen, dass die Gesprächspsychotherapie auch künftig nicht als Richtlinienverfahren der GKV angewandt werden kann und damit eine entsprechende Entscheidung aus dem Jahr 2006 bekräftigt.
Bevor eine psychotherapeutische Behandlungsform Kassenleistung wird, bewertet der G-BA diese – ebenso wie andere medizinische Behandlungsmethoden – nach einem festgelegten Verfahren. Überprüft wird, ob psychotherapeutische Verfahren, Methoden oder Techniken zur Behandlung bestimmter Erkrankungen für Patienten einen Nutzen haben, und ob sie medizinisch notwendig und wirtschaftlich sind.
GKV-Versicherte haben derzeit Anspruch auf Kostenübernahme für zwei Psychotherapierichtungen - die beiden psychoanalytisch begründeten Verfahren „Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“ und „Analytische Psychotherapie“ sowie die Verhaltenstherapie. Insgesamt lassen sich jedes Jahr in Deutschland etwa 300 000 Menschen im Rahmen einer ambulanten Psychotherapie behandeln.