Bundesausschuss wehrt sich gegen Ersatzvornahme bei den Methadon-Richtlinien
Siegburg, den 7. August 2002– Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat in seiner Sitzung am 2. August 2002 beschlossen, gegen die vom Bundesministerium für Gesundheit im Wege der Ersatzvornahme vorgenommene Änderung der geltenden Methadon-Richtlinien den Rechtsweg zu beschreiten. Mit der beim Sozialgericht Köln inzwischen eingereichten Anfechtungsklage hat der Bundesausschuss als Kläger beantragt, die Änderungen der Methadon-Richtlinien für unwirksam zu erklären.
Die Anfechtungsklage hat aufschiebende Wirkung, so dass die vom BMG beabsichtigten Änderungen nicht in Kraft treten können. Die bisher geltenden Richtlinien sind deshalb weiterhin anzuwenden.
Die Ersatzvornahme ist eine überraschende und in der fast 50-jährigen Geschichte des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen bisher einmalige Reaktion des Bundesgesundheitsministeriums gegen die gemeinsame Selbstverwaltung. In der Sache geht es um eine unterschiedliche Auffassung über die Voraussetzungen an die Durchführung der Substitutionsbehandlung bei Drogenabhängigen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.
In den seit 1991 geltenden Richtlinien des Bundesausschusses ist vorgesehen, dass neben der Drogenabhängigkeit noch eine sog. Begleiterkrankung vorhanden sein muss, die zur Krankenbehandlung zu Lasten der Krankenkassen führt.
Von diesem Erfordernis will das Bundesgesundheitsministerium seit einiger Zeit abrücken; die bloße Tatsache der Drogenabhängigkeit soll ausreichen, um das Substitutionsverfahren auf Kosten der Krankenversicherung durchführen zu können. Das Ministerium stützt sich dabei auf die Bundesärztekammer, die seit Jahren diese Meinung vertritt und sie kürzlich in ihren „Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger vom 22.03.2002“ auch förmlich bekräftigt hat.
Demgegenüber beruft sich der Bundesausschuss auf ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts vom 20. März 1996, das die Methadon-Richtlinien und die Forderung nach einer Begleiterkrankung ausdrücklich für rechtmäßig erklärt hat. Die Vertreter der Krankenkassen befürchten beim Verzicht auf diese Voraussetzung die Gefahr einer unzulässigen Ausdehnung ihrer Leistungspflicht in sozial- und kriminalpolitischen Aufgaben, für die sie nicht zuständig sind.
Neben dem Streit über die Grundsatzfrage der notwendigen Zweiterkrankung geht es auch um die Einzelausgestaltung des Substitutionsverfahrens in den geänderten Richtlinien. Nach Auffassung des Bundesausschusses weisen die geänderten Richtlinien in der Fassung der Ersatzvornahme eine ganze Reihe von Mängeln auf, die ein sachgemäßes Substitutionsverfahren nicht gewährleisten können.
Vor allem fehlen nach Auffassung des Bundesausschusses konkrete und eindeutige Regelungen
- zur bisherigen Dauer der Abhängigkeit,
- zur Dauer der Substitutionsbehandlung insgesamt,
- zum Abbruch der Behandlung bei schuldhaftem Verhalten des Abhängigen,
- zur Sicherstellung der psychosozialen Betreuung, die nicht Aufgabe der Krankenkassen ist,
- zum medizinischen Inhalt des geforderten „umfassenden Behandlungskonzepts“; denn die Behandlung darf sich nicht auf die bloße Substitution beschränken, sondern muss auf Drogenfreiheit gerichtet sein.
Das Ministerium ist nach § 94 SGB V grundsätzlich berechtigt, die Richtlinien des Bundesausschusses bei Rechtsverstößen zu beanstanden und auch im Wege der Ersatzvornahme selbst zu erlassen. Weil das Bundesgesundheitsministerium aber den Bundesausschuss nicht konkret zu einer Änderung seiner Richtlinien aufgefordert und dazu auch keine Frist gesetzt hat, sieht der Ausschuss einen Verstoß gegen zwingende Verfahrensvorschriften und darüber hinaus auch einen nicht gerechtfertigten Eingriff in seine Kompetenzen zur inhaltlichen Regelung der ambulanten Behandlung von Drogenabhängigen.