Grundsatzentscheidung: BSG stärkt Rechtsstellung des G-BA gegenüber dem BMG
Siegburg/Kassel, 7. Mai 2009 – Auch Leistungen im Krankenhaus können von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen werden, wenn ihre Wirksamkeit nicht hinreichend durch Studien belegt ist. Weil ein dementsprechender Ausschluss zur Protonentherapie bei Brustkrebs (Mammakarzinom) rechtmäßig war, muss sie auch künftig nicht von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bezahlt werden. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am gestrigen Mittwoch entschieden (Az.: B 6 A 1/08 R) und damit zwei für die Rechtsstellung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wichtige Grundsatzfragen geklärt: Stationäre Leistungen müssen nach vergleichbaren Maßstäben vom G-BA beurteilt werden wie ambulante Leistungen und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kann seine fachliche Beurteilung nicht durch eigene Zweckmäßigkeitserwägungen ersetzen, solange die Entscheidung des G-BA fachlich vertretbar und rechtmäßig beschlossen worden ist.
Zur Entscheidung stand eine Beanstandung des BMG, welche sich gegen den Ausschluss der Protonenbestrahlung bei Brustkrebs als stationäre Leistung durch den G-BA wandte. Hiergegen hatte der Bundesausschuss im Jahr 2004 geklagt – mit Erfolg: Es sei – so der 6. Senat des BSG in seiner mündlichen Urteilsbegründung - nicht zu beanstanden, wenn der G-BA eine Behandlungsmethode von der Leistungspflicht der GKV ausschließe, weil zu wenig aussagekräftige Studien vorliegen. Insbesondere können aus Unterschieden der gesetzlichen Bestimmungen für die Bewertung im ambulanten sowie im stationären Bereich keine unterschiedlichen Kriterien für die Bewertung der Methoden durch den G-BA abgeleitet werden.
„Wir sind nicht gegen Fortschritt“, sagte der Vorsitzende des G-BA, Dr. Rainer Hess, in der mündlichen Verhandlung, „aber wir wollen keine Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten mit unerforschten und damit fragwürdigen Methoden“. Zugleich warb er um Verständnis für die ungewöhnliche Klage gegen das Ministerium: „Wir streiten uns nicht gerne mit unserer Aufsicht vor Gericht und tun dies deshalb auch in aller Regel nicht. Für unsere Arbeit ist eine sichere Rechtsgrundlage aber unabdingbar. Die Klärung strittiger Grundsatzfragen durch die Gerichte ist deswegen notwendig und liegt im beiderseitigen Interesse.“
Auch in der zweiten Grundsatzfrage gab das höchste deutsche Sozialgericht dem G-BA Recht: Fachliche Fragen sind Sache des G-BA. Der Gesetzgeber habe nämlich mit der Möglichkeit zur Beanstandung dem BMG nicht einräumen wollen, eigene politische Zweckmäßigkeitserwägungen an Stelle der wissenschaftlichen Bewertung durch den G-BA zu stellen. Wolle der Gesetzgeber eine solche Fachaufsicht, käme er auch in Konflikt mit der Verfassung, denn die Artikel 80 und 87 Abs. 2 des Grundgesetzes trennten klar zwischen unmittelbarer Staatsverwaltung, für die das BMG stehe, und der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung in Gestalt des G-BA. Aufgabe des Ministeriums sei es deshalb die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu kontrollieren und ein ordnungsgemäßes Verfahren zu sichern, nicht aber aus politischen oder sonstigen Erwägungen Entscheidungen des G-BA zu korrigieren, welche die rechtlichen Vorgaben beachten. Auch konnte das BSG keinen Mangel an demokratischer Legitimation des G-BA erkennen, welche über erweiterte Befugnisse des BMG ausgeglichen werden müssten.
„Das Urteil stärkt den G-BA in seiner fachlichen Verantwortung“, sagte Hess im Hinblick auf die Entscheidung zur Rechtsaufsicht, „und enthält eine positive Signalwirkung für die gemeinsame Selbstverwaltung“.
Bereits im Juni 2008 war der G-BA in zweiter Instanz in seinem Beschluss bestätigt worden, die Protonentherapie für die Behandlung des Mammakarzinoms aus dem stationären Leistungskatalog der GKV auszuschließen. Ein entsprechendes Urteil hatte das Landessozialgericht (LSG) in Essen gefällt und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts Köln vom Oktober 2005 bestätigt.
Der G-BA hat unter anderem die gesetzliche Aufgabe, im Krankenhaus zu Lasten der GKV erbrachte Methoden daraufhin zu prüfen, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind.
Im Jahr 2004 wurden Beschlüsse gefasst, die Protonentherapie bei der Behandlung des Mammakarzinoms und des Ästhesioneuroblastoms - eines sehr seltenen Tumors der Nasenhaupthöhle - aus der Erstattungspflicht durch die GKV auszuschließen. Diese Beschlüsse hatte das BMG beanstandet. Der G-BA hatte im Sommer 2004 dagegen beim Sozialgericht Köln geklagt. Das Verfahren zum Ästhesioneuroblastom ist weiterhin vor dem LSG Essen anhängig.