Presse­mit­teilung | Methoden­be­wertung

Flächen­de­ckendes Screening im Rahmen der Früherken­nungs­un­ter­su­chungen kann den Schutz der Kinder vor Misshandlung nicht verbessern

Siegburg/Berlin, 14. September 2007 Zuverlässige, wissen­schaftlich gesicherte Testver­fahren für das systema­tische Aufspüren von vorlie­gender oder drohender Kindes­miss­handlung, die im Rahmen der Kinder­früh­erken­nungs­un­ter­su­chungen angewandt werden und zu einem verbes­serten Kinder­schutz führen könnten, sind derzeit nicht verfügbar. Zu diesem Ergebnis kommt der Gemeinsame Bundes­aus­schuss (G-BA) nach einer gründlichen Auswertung der zu diesem Thema verfügbaren nationalen und interna­tionalen wissen­schaft­lichen Literatur.

Der G-BA war auf Veranlassung des Bundes­mi­nis­teriums für Gesundheit (BMG) und aufgrund der tagespo­li­tischen Diskussion zu wirksamen Strategien zur Verhin­derung von Kindes­miss­handlung der Frage nachge­gangen, ob einheitliche und verlässliche Tests vorhanden sind, mit denen alle Kinder bis zum sechsten Lebensjahr untersucht werden können, um Kindes­miss­handlung aufzudecken beziehungsweise zu vermeiden. Ziel eines Screenings sollte sein, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Hinweise auf eine drohende Misshandlung finden zu können. In den durch den G-BA ausgewerteten Publika­tionen und Studien wurden allerdings keine Belege gefunden, dass sich durch Tests im Rahmen von Vorsor­ge­un­ter­su­chungen drohende Kindes­miss­handlung verhindern oder aufdecken lässt.

„Von einem systema­tischen Test, in den auch alle Eltern vorbeugend einbezogen werden, ob deren Kinder eventuell Opfer von Misshand­lungen werden, muss eine besonders hohe Verläss­lichkeit und Genauigkeit gefordert werden. Die Gefahr von haltlosen und ungerecht­fer­tigten Verdäch­ti­gungen und Vor-​Verurteilungen von Eltern durch Ärzte, Behörden, Verwandte und Nachbarn ist erheblich und keinesfalls zu unterschätzen“, sagte der Vorsitzende des G-BA, Dr. Rainer Hess, am Freitag in Berlin. „Vor diesem Hintergrund müssen wir feststellen, dass der G-BA durch die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, wie etwa einer Änderung der Kinder-​Richtlinien, leider keinen hilfreichen Beitrag zur Verbes­serung des Kinder­schutzes leisten kann“.

Hess appellierte an die Verant­wort­lichen in Wissen­schaft, Politik und Verwaltung, die bisher vielver­spre­chenden sogenannten aufsuchenden Ansätze in der Kinder-​ und Jugendhilfe weiter zu stärken und flächen­deckend auszubauen. Er begrüßte auch die Initiativen einiger Landes­re­gie­rungen, gezielt solche Forschungs­ak­ti­vitäten zu fördern, die sich mit den familiären Risiko­faktoren für Kindes­miss­handlung beschäftigen.

Unabhängig vom Für und Wider eines bevölke­rungs­weiten Screenings zur Verhin­derung von Kindes­miss­handlung besteht weiterhin im Rahmen der Früherken­nungs­un­ter­su­chungen von Kindern die Möglichkeit, dass der Arzt bei verdächtigen Befunden die notwendigen Maßnahmen veranlasst und beispielsweise das Jugendamt einschaltet. Um die Aufmerk­samkeit der Ärzte für diesen sensiblen Bereich weiter zu erhöhen und Unsicher­heiten in Bezug auf das weitere Vorgehen bei einem Verdacht abzubauen, haben Ärztekammern, Berufs­verbände und Ministerien bereits entspre­chende Leitfäden entwickelt.

Der Beschluss des G-BA wird dem BMG zur Prüfung vorgelegt und tritt nach erfolgter Nichtbe­an­standung und Bekannt­machung im Bundes­an­zeiger in Kraft. Der Beschlusstext, eine Beschluss­erläu­terung sowie ein Teilab­schluss­bericht zu diesem Thema werden in Kürze im Internet veröffentlicht.


Beschluss zu dieser Presse­mit­teilung

Kinder-​Richtlinie (Screening auf Kindes­miss­handlung)