G-BA erweitert die Verordnungsmöglichkeit von Lipidsenkern, wenn alleinige Primärprävention hohe kardiovaskuläre Risiken nicht ausreichend senkt
Berlin, 19. Dezember 2024 – Der Gemeinsame Bundesauschuss (G-BA) hat die Verordnungsmöglichkeit von Lipidsenkern wie Statinen bei hohem kardiovaskulärem Risiko an den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse angepasst. Liegt bei einer Patientin oder einem Patienten das Risiko, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden bei mind. 10 Prozent, können Lipidsenker verordnet werden. Bislang lag die Risikoschwelle bei mind. 20 Prozent. Von einem hohen Risiko ist zudem bei Diabetes mellitus Typ 1 mit Mikroalbuminurie sowie bei familiärer Hypercholesterinämie, einer genetisch bedingten Störung des Cholesterinstoffwechsels, auszugehen. Hier ist die Verordnungsmöglichkeit zukünftig generell gegeben. Darüber hinaus definierte der G-BA Patientengruppen, bei denen bereits unterhalb von 10 Prozent ein hohes kardiovaskuläres Risiko bestehen kann. Ziel ist es, durch den Einsatz von Lipidsenkern Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen und die Lebenserwartung zu verlängern.
Dazu Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA: „Ob das Senken von erhöhten Blutfettwerten mit Arzneimitteln trotz der damit möglicherweise einhergehenden Nebenwirkungen sinnvoll ist, hängt vom individuellen Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung ab. In vielen Fällen können erhöhte Blutfettwerte durch Primärprävention wie gesunde und angepasste Ernährung sowie ausreichend Bewegung ganz vermieden oder gesenkt werden. Diese Primärprävention muss immer Vorrang vor Arzneimitteltherapien haben, weil sie keine harmlosen Fruchtgummis sind, sondern ihre Neben- und Langzeitwirkungen immer auch ein Risiko darstellen können. Deshalb sind Lebensstiländerungen immer besser als Medikamente. Bei einem hohen Risiko, das man beispielsweise anhand von Alter, Geschlecht oder auch einer familiären Vorbelastung gut abschätzen kann, kann ein angepasster Lebensstil alleine aber in manchen Fällen nicht ausreichend sein. Die nun beschlossene generelle Absenkung der sogenannten Risikoschwelle von 20 auf 10 Prozent bewirkt, dass in diesen Fällen Versicherte von den vorbeugenden Effekten von Lipidsenkern profitieren werden – durch den neuen Schwellenwert werden weiterhin nur jene Gruppen fokussiert, bei denen die Vorteile überwiegen. Über die aktuell hierzu vorliegende Evidenzlage besteht auch Konsens bei allen maßgeblichen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Unterhalb von 10 Prozent – wie es im Zusammenhang mit dem Gesundes-Herz-Gesetz diskutiert wurde – gibt es jedoch nur einzelne Patientengruppen, bei denen risikoverstärkende Faktoren vorliegen, wie beispielsweise Menschen mit einer bestimmten schweren psychischen Erkrankung oder einer HIV-Infektion. Ein generelles Absenken der Risikoschwelle auf unter 10 Prozent ist mit derzeitigen evidenzbasierten Erkenntnissen nicht vereinbar.“
Verordnungsfähigkeit von Lipidsenkern
Lipidsenker sind grundsätzlich von der Verordnung ausgeschlossen. Ausnahmen bestehen bei familiärem Chylomikronämie-Syndrom und zur Sekundärprävention nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ausnahmsweise können Lipidsenker aber auch verordnet werden, wenn ein hohes individuelles Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall besteht. Zu den Risikofaktoren gehören – neben zu hohen Blutfettwerten – unter anderem Alter, Geschlecht, Herzerkrankungen in der Familie und Rauchen. Vor dem Einsatz von Lipidsenkern ist eine Anpassung des Lebensstils die erste Option zur Vorbeugung.
Inkrafttreten
Der Beschluss wird dem Bundesministerium für Gesundheit zur rechtlichen Prüfung vorgelegt und tritt nach Nichtbeanstandung und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Unter folgendem Link wird der Beschluss in Kürze einsehbar sein: Anlage III: Übersicht über Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse | Beschlüsse
Hintergrund: Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse von Arzneimitteln
Der G-BA kann die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischem oder therapeutischem Nutzen verfügbar ist. Die Zweckmäßigkeit wird bewertet, indem das Arzneimittel in Bezug auf seinen therapeutischen Nutzen mit bereits zur Verfügung stehenden Behandlungsalternativen verglichen wird. Maßgeblich für die Bewertung des Nutzens ist dabei das Ausmaß der Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte – zum Beispiel der Krankheitslast, der Lebensqualität oder einer Verringerung von Nebenwirkungen. In Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie findet sich eine Übersicht über alle bestehenden Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse in der Arzneimittelversorgung.