Behandlung der akuten myeloischen Leukämie: G-BA kann Wirkstoff Midostaurin keinen Zusatznutzen mehr bescheinigen
Berlin, 2. Mai 2024 – Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kommt bei seiner erneuten Bewertung des Wirkstoffs Midostaurin zu einem deutlich anderen Ergebnis als im Jahr 2018. Midostaurin ist zugelassen zur Behandlung einer seltenen Erkrankung: der akuten myeloischen Leukämie, die eine bestimmte Genmutation (FLT3-Mutation) aufweist. Das Ausmaß des Zusatznutzens einer Behandlung mit Midostaurin hatte der G-BA im Jahr 2018 auf Basis der Zulassungsstudie RATIFY als „beträchtlich“ eingestuft, da die Studiendaten im Vergleich zu den damaligen Therapieoptionen eine zusätzliche Verbesserung im langfristigen Überleben aufzeigten. Da sich der Therapiestandard – zu dem heute auch Midostaurin selbst zählt – inzwischen weiterentwickelt hat, konnte der G-BA dem Orphan Drug nun keinen Zusatznutzen mehr bescheinigen. Anlass der Neubewertung war, dass die Umsatzgrenze mit der gesetzlichen Krankenversicherung einen Betrag von 30 Millionen Euro überschritten hatte.
Dazu Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA: „Aus aktuellen Leitlinienempfehlungen und der Stellungnahme der medizinischen Fachgesellschaft geht eindeutig hervor, dass Midostaurin kombiniert mit einer Chemotherapie den aktuellen Therapiestandard bei der akuten myeloischen Leukämie mit FLT3-Mutation darstellt. Dieser hohe aktuelle Stellenwert in der klinischen Versorgung kann bei der erneuten Bewertung des Zusatznutzens bedauerlicherweise nicht abgebildet werden. Hintergrund ist, dass die in der Zulassungsstudie RATIFY angewandte Vergleichstherapie heute nicht mehr vollständig dem aktuellen Therapiestandard entspricht. Demnach werden in der Erhaltungstherapie, d.h. nach erfolgreichem Abschluss der initialen Behandlung, weitere wirksame Wirkstoffe eingesetzt, die damals noch nicht zur Verfügung standen. Daher können die Ergebnisse der hochwertig konzipierten RATIFY-Studie – eine randomisiert kontrollierte Studie – gegenüber der aktuellen zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht mehr in das formale Bewertungsergebnis einfließen.“
Und weiter: „Diese Fallkonstellation geht auf die gesetzliche Regelung zurück, wonach ein Orphan Drug erneut und im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie zu bewerten ist, wenn der Umsatz mit der gesetzlichen Krankenversicherung 30 Millionen Euro überschritten hat. In der Zwischenzeit kann sich der Stand der medizinischen Kenntnisse jedoch weiterentwickelt haben, wobei die zweckmäßige Vergleichstherapie vom G-BA zwingend nach dem aktuellen Stand zu bestimmen ist. In dieser Konstellation kann im Zweifelsfall – wie im Fall von Midostaurin – kein zusätzlicher Nutzen mehr bescheinigt werden.“
Midostaurin bei akuter myeolischer Leukämie (AML)
Die AML ist eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems. Unreife Vorläuferzellen vermehren sich unkontrolliert und unterdrücken die normale Blutbildung im Knochenmark. Die Folge ist ein Mangel an gesunden Blutplättchen (Thrombozyten) sowie roten und weißen Blutzellen (Erythrozyten und Leukozyten). Die Art der Behandlung hängt vor allem davon ab, an welcher Form der AML die Patientin oder der Patient erkrankt ist. 30 bis 35 Prozent der Patientinnen und Patienten mit AML haben Mutationen im Fms-related Tyrosinkinase-3-Gen (FLT3-Gen) – verbunden mit der FLT3-Mutation ist eine schlechte Prognose.
Midostaurin ist zugelassen für die Behandlung von Erwachsenen mit neu diagnostizierter AML mit FLT3-Mutation. Je nach Therapiephase wird der Wirkstoff auch in Kombination mit anderen Onkologika eingesetzt.
Hintergrund: Frühe Nutzenbewertung von Midostaurin
Seit dem Jahr 2011 bewertet der G-BA alle neu zugelassenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen nach Markteintritt in Deutschland. Er prüft, ob es einen Zusatznutzen gegenüber vergleichbaren Therapieoptionen gibt und wie sicher dieses Ausmaß anhand der vorhandenen Studienqualität beurteilt werden kann. Für die Ergebnisse verwendet er verschiedene Kategorien, unter anderem auch „beträchtlich“. Auf Grundlage des jeweiligen Bewertungsergebnisses vereinbaren der GKV-Spitzenverband und der pharmazeutische Unternehmer, wie viel die gesetzliche Krankenversicherung für das Arzneimittel bezahlt.
Der Wirkstoff Midostaurin ist in Deutschland seit dem Jahr 2017 eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Aufgrund der Zulassung als Arzneimittel zur Behandlung einer seltenen Erkrankung (Orphan Drug) gilt der Zusatznutzen bis zum Erreichen einer Umsatzgrenze von 30 Millionen Euro durch die Zulassung als belegt – der G-BA bewertete mit Beschluss vom 5. April 2018 nur das Ausmaß des Zusatznutzens. Übersteigt der Umsatz des Arzneimittels mit der gesetzlichen Krankenversicherung einen Betrag von 30 Millionen Euro, bewertet der G-BA den Zusatznutzen erneut. Das erneute Bewertungsverfahren zu Midostaurin wurde im November 2023 aufgenommen.
Weitere Informationen sind auf der Website des G-BA zu finden: Nutzenbewertung von Arzneimitteln gemäß § 35a SGB V