Gemeinsamer Bundesausschuss: Ausblick auf das Arbeitsprogramm 2024
Berlin, 22. Februar 2024 – Die Gesundheitsversorgung konstant gut weiterzuentwickeln bleibt herausfordernd, stellt Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), im Namen aller drei unparteiischen Mitglieder mit Blick auf das Arbeitsjahr 2024 fest:
„Seit 20 Jahren arbeitet der Gemeinsame Bundesausschuss daran, die Gesundheitsversorgung für derzeit 74 Millionen gesetzlich Versicherte immer besser zu machen und zugleich bezahlbar zu halten. Das tut er verantwortungsbewusst, verlässlich und mit hoher Fachkompetenz. Evidenzbasierte und damit effiziente Versorgungsangebote anzubieten – das ist es, worum es bei unseren Leistungsentscheidungen geht. Denn nur ein mit Daten nachgewiesener Mehrwert für Patientinnen und Patienten kann höhere Kosten rechtfertigen. Mit dieser Orientierung stellen wir uns auch den großen Herausforderungen für das Gesundheitssystem im Jahr 2024: fehlende Fachkräfte, eine angespannte Finanzlage bei den Krankenkassen, ein medizinisch-technischer Fortschritt, dessen Versprechen mit Daten zu überprüfen ist, sowie der Digitalisierung und KI.
Die Qualitätssicherung weiterzuentwickeln wird auch in diesem Jahr einen großen Raum einnehmen. Wir wollen vorhandene und neue Verfahren zielgenauer und aufwandsärmer als bisher ausrichten, ohne dabei Einbußen für die Patientensicherheit hinzunehmen. Auf den ersten Blick geht es um Zahlen, Strukturen und Prozesse, doch dahinter steht die sichere Gesundheitsversorgung von Menschen. Gerade in der Debatte um Mindestmengen für komplexe, aber planbare Krankenhausleistungen kann das gar nicht oft genug betont werden.
Mit den Möglichkeiten, Krankheiten sicher zu diagnostizieren und wirksam zu behandeln, steigen auch die Erwartungen an eine gute Früherkennung. Aufgabe des G-BA wird es entsprechend auch in diesem Jahr sein, die bestehenden Angebote der gesetzlichen Krankenversicherung auszubauen beziehungsweise anzupassen. Beraten wird beispielsweise, die Altersgrenze für das Mammographie-Screening abzusenken und Frauen damit einen früheren Zugang zu ermöglichen. Beim Neugeborenen-Screening geht es auch um weitere sogenannte Zielerkrankungen – ganz entscheidend ist hier jedoch, dass wir das Nachverfolgen und Abklären auffälliger Screeningbefunde verbessern werden.
Im Bereich Arzneimittel wird der G-BA sein Engagement auf europäischer Ebene fortsetzen. Zusammen mit anderen EU-Partnern werden wir die Standards für die Bewertung von neuen Medikamenten definieren.
Ich begrüße zudem die Gesetzespläne, die Patientenvertretung zu stärken und neue Berufsgruppen intensiver in die Beratungen des G-BA einzubinden. Der vorgesehene Ausbau der Beteiligung der Pflege, der Hebammen und der Patientenvertretung ist aus den Überlegungen des Gesetzgebers heraus folgerichtig. Jede Optimierung, die der Gesetzgeber vornimmt, muss den G-BA stärken, damit er seine Aufgaben auch in Zukunft evidenzbasiert und sachgerecht erfüllen kann. Das heißt, unsere Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit muss immer im Blick behalten werden. Dies erscheint mir mit den vorgesehenen Regelungen gelungen.“
Die folgende Übersicht zeigt vor allem eine Auswahl an Themen, die der G-BA zusätzlich zum routinemäßigen Aktualisieren der Richtlinien in diesem Kalenderjahr bearbeiten wird:
Arzneimittel
Frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel
Mit seinen Entscheidungen zum Zusatznutzen neuer Arzneimittel wird der G-BA auch in diesem Jahr dazu beitragen, die Arzneimittelausgaben zu kontrollieren und den Weg in die Versorgung für echte Innovationen zu ebnen. Der G-BA wird seine etablierten frühen Nutzenbewertungen neuer Arzneimittel (gemäß § 35a SGB V) auch in diesem Jahr fortsetzen. Der Umfang dürfte dabei in etwa vergleichbar mit dem im Vorjahr sein: Erwartet werden rund 130 bis 140 Verfahren und 220 Beratungen. Das 1000. Verfahren wird in der ersten Jahreshälfte 2024 abgeschlossen sein.
Thema: AMNOG– Nutzenbewertung von Arzneimitteln gemäß § 35a SGB V
HTA-Bewertung in Europa
Die Bewertung von Gesundheitstechnologien, sogenannte HTA-Bewertung (Health Technology Assessment), wird ab dem Jahr 2025 auf europäischer Ebene erfolgen. Schon seit einiger Zeit arbeitet der G-BA – zusammen mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sowie dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) – am Aufbau des Verfahrens auf europäischer Ebene mit. Abhängig von den Entwicklungen auf der EU-Ebene sind themenspezifische Informationsveranstaltungen in kleinerem Rahmen geplant.
Thema: EU-Beratungen HTA
Arzneimittel zur Tabakentwöhnung
Versicherte, bei denen eine schwere Tabakabhängigkeit festgestellt wurde, sollen nach dem Willen des Gesetzgebers zukünftig auch Anspruch auf eine Übernahme von Arzneimitteln zur Tabakentwöhnung haben. Auf Grundlage der Nutzenbewertung des IQWiG wird der G-BA festlegen, welche Arzneimittel zur Tabakentwöhnung verordnet werden können und unter welchen Voraussetzungen das im Rahmen von Programmen zur Tabakentwöhnung erfolgen kann.
Verordnung von Cannabisprodukten
Bisher müssen Krankenkassen der Erstverordnung von Cannabis für Schwerkranke durch Ärztinnen und Ärzte in der Regel zustimmen (Genehmigungsvorbehalt). Das soll künftig aufgrund gesetzlicher Vorgaben bei einzelnen Facharztgruppen mit bestimmten ärztlichen Qualifikationen entfallen. Welche das sind, legt der G-BA voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte fest.
Abgrenzung von Verbandmitteln von sonstigen Mitteln zur Wundversorgung
Der G-BA bietet ab dem Jahr 2024 auch Herstellern von sonstigen Produkten zur Wundbehandlung eine kostenpflichtige Beratung an. In der Verfahrensordnung sind das Nähere zum Verfahren und die Gebührenordnung geregelt. Anfang März informiert der G-BA dazu in einer Online-Veranstaltung – beispielsweise wie eine solche Beratung angefordert werden kann und wie sie abläuft, welche Unterlagen dafür benötigt werden und welche juristischen Aspekte zu beachten sind.
Thema: Verbandmittel und sonstige Produkte zur Wundversorgung
Ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV)
Zwei neue Krankheitsbilder
Der G-BA wird seine ASV-Richtlinie um folgende zwei neue, komplexe, schwer therapierbare Krankheitsbilder ergänzen und damit die Voraussetzungen für entsprechende Versorgungskonzepte in der Praxis definieren: allogene Stammzelltransplantation sowie Tumoren des lymphatischen, blutbildenden Gewebes und schwere Erkrankungen der Blutbildung. Parallel dazu überarbeitet der G-BA seine ASV-Richtlinie auf Grundlage des durch den Innovationsfonds geförderten Evaluationsprojekts „GOAL-ASV“. Ein entsprechender Beschluss wird Ende des ersten Quartals vom G-BA gefasst werden. Bei der ASV arbeiten spezialisierte Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen in einem Team zusammen. Eine ASV kann von Krankenhäusern sowie niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzten und Medizinischen Versorgungszentren angeboten werden.
Bedarfsplanung
Beratungen über Anpassung der vertragsärztlichen Bedarfsplanung
Die Bedarfsplanungs-Richtlinie sieht eine regelmäßige Aktualisierung von einzelnen Steuerungsinstrumenten vor. Der G-BA steigt in diesem Jahr unter anderem in die Beratungen zur umfassenden Aktualisierung des Morbiditätsfaktors ein. Mit diesem Faktor sollen die demografische Entwicklung abgebildet und regionale Unterschiede bei der Häufigkeit von Krankheitsfällen einbezogen werden. Ein Beschluss wird für das kommende Jahr erwartet. Außerdem bereitet er eine Evaluation der Richtlinie zu spezifischen Detailwirkungen vor und setzt diese um.
Sollte es gesetzliche Änderungen entsprechend des Koalitionsvertrags geben, beispielsweise bei der psychotherapeutischen Versorgung, wird der G-BA hierzu umgehend beraten. Die unparteiischen Mitglieder hatten gegenüber dem Gesetzgeber bereits vorgeschlagen, für Leistungserbringer, die ausschließlich Kinder und Jugendliche psychotherapeutisch betreuen, in der Bedarfsplanung eine eigene Arztgruppe vorzusehen. Dadurch könnte der G-BA dem besonderen Bedarf von Kindern und Jugendlichen – wie man ihn beispielsweise durch die Corona-Pandemie gesehen hat – gerechter werden.
Beratungen zu Notfallstufen
Seit mehreren Jahren gilt ein vom G-BA entwickeltes gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern. Für jede Stufe hat der G-BA strukturelle und personelle Anforderungen definiert. Sie sind die Grundlage für die Vereinbarung von gestaffelten Zuschlägen sowie für Abschläge bei Nichtbeteiligung an der Notfallversorgung, die zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern vereinbart werden. Der G-BA setzt seine Beratungen fort, um die Regelung zu den Notfallstufen und ihre Wirkung überprüfen zu lassen. Zudem wird je nach Inhalt der Krankenhausstrukturreform eine Anpassung der Notfallstufensystematik an die neuen Leistungsgruppen und eine Umsetzung der Empfehlung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen erfolgen.
Thema: Gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern
Berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Behandlung bei Verdacht auf Long-COVID
Weitere Arbeit an der Richtlinie zu Long-COVID oder ähnlichen Erkrankungen
Ende 2023 hat der G-BA eine neue Richtlinie verabschiedet, damit Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf Long-COVID oder eine Erkrankung, die eine ähnliche Ursache oder Krankheitsausprägung aufweist, schneller und bedarfsgerechter behandelt werden. Der G-BA setzt seine Beratungen fort, um gegebenenfalls neue Erkenntnisse aus der medizinischen Forschung oder Hinweise aus aktuellen medizinischen Leitlinien zu berücksichtigen. Bisher gibt es noch viele offene Fragen zu Ursachen und wirksamen Therapien.
Thema: Versorgungsangebot bei Long-COVID und Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen
Disease-Management-Programme (DMP)
DMP Adipositas für Kinder und Jugendliche
Der G-BA wird voraussichtlich im November 2024 seine Beratungen für das neue DMP Adipositas für Kinder und Jugendliche abschließen. Wissenschaftliche Basis ist die Leitlinienrecherche und -bewertung des IQWiG. Bereits im letzten Jahr hatte der G-BA ein DMP Adipositas für Erwachsene verabschiedet, um Gesundheits- und Unterstützungsangebote für Patientinnen und Patienten mit krankhaftem Übergewicht zu verbessern. Wie bei allen Behandlungsprogrammen geht es auch beim DMP Adipositas darum, den Krankheitsverlauf der chronischen Erkrankung durch ein strukturiertes, bedarfsorientiertes und leitliniengerechtes Angebot positiv zu beeinflussen und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen.
Im laufenden Kalenderjahr wird der G-BA außerdem die Arbeiten an den Anforderungen an das DMP Herzinsuffizienz abschließen. Hier ist ein Beschluss im zweiten Quartal 2024 vorgesehen. Bis zum Jahresende regelt der G-BA in seiner DMP-Richtlinie überdies die digitale Ausgestaltung des DMP zu Diabetes mellitus Typ I und II.
Thema: Disease-Management-Programme
Methodenbewertung
Erprobungsstudien zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
Ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit des G-BA im Bereich der Methodenbewertung liegt mittlerweile in der Konzeption und Begleitung klinischer Erprobungsstudien. Derzeit laufen 13 solcher Studien, insgesamt steigt die Zahl der Studien stetig an.
Bis Ende dieses Jahres werden die Daten der Studie „LIPLEG – Liposuktion bei Lipödem in den Stadien I, II oder III“ durch die unabhängige wissenschaftliche Institution ausgewertet und an den G-BA übermittelt. Auf Basis dieser Daten wird der G-BA erneut darüber beraten, ob das Verfahren Leistung der gesetzlichen Krankenkassen werden soll und falls ja für welche Patientengruppen. Mit einem Beschluss dazu rechnet der G-BA im kommenden Jahr. Im Blick hat der G-BA auch die derzeit bis Ende 2024 befristete Regelung, wonach die Liposuktion bei Lipödem in Stadium III unter bestimmten Bedingungen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden darf. Über diese zeitlich befristete Regelung wird er rechtzeitig beraten.
Thema: Übersicht zu Erprobungsstudien, die in Vorbereitung sind oder laufen
Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (gemäß §§ 135 und 137c SGB V)
Mit einer Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden klärt der G-BA, ob die jeweilige Leistung die gesetzlichen Anforderungen an den Nutzen erfüllt und damit in den Regelleistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen bzw. die Leistung bestätigt werden kann. In diesem Jahr soll die „Bewertung der Fraktursonographie zur Diagnosestellung bei Kindern mit Verdacht auf Fraktur eines langen Röhrenknochens der oberen Extremitäten“ abgeschlossen werden.
Früherkennung: Brustkrebs-Screening
Das Mammographie-Screening zur Früherkennung von Brustkrebs wird ausgeweitet: Ab 1. Juli 2024 haben auch Frauen zwischen 70 und 75 Jahren Anspruch auf eine Mammographie – Voraussetzung ist, dass die Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) bis dahin in Kraft ist. Die Anhebung der Altersgrenze hatte der G-BA schon im September 2023 beschlossen.
Der G-BA wird in diesem Jahr seine Beratungen zu der Frage abschließen, ob auch die Altersgruppe der Frauen zwischen 45 und 50 Jahren in das organisierte Mammographie-Screening einzubeziehen ist.
Thema: Brustkrebs-Früherkennung – Mammographie-Screening-Programm
Früherkennung: Lungenkrebs-Screening
Die Beratung über die Einführung eines neuen Lungenkrebs-Screenings hatte der G-BA bereits 2023 aufgenommen. Auf Basis der in Kürze erwarteten Rechtsverordnung des BMVU zur strahlenschutzrechtlichen Zulässigkeit des Screening-Angebots werden die Beratungen fortgeführt. Liegt die Rechtsverordnung vor, hat der G-BA 18 Monate Zeit, einen Beschluss zu treffen.
Früherkennung: Darmkrebs-Screening bei familiärem Risiko
Der G-BA prüft die Möglichkeit, die Darmkrebsfrüherkennung für Menschen mit einem familiären Risiko zu verbessern. Bereits Anfang Februar hatte der G-BA das IQWiG beauftragt, bis zum November 2024 Ergebnisse zum aktuellen Wissensstand dazu vorzulegen. Sie fließen in die weiteren Beratungen des G-BA zur möglichen Erweiterung der organisierten Krebsfrüherkennung mit ein. Ebenfalls einbezogen werden die Ergebnisse des Projekts „FARKOR – Vorsorge bei familiärem Risiko für das kolorektale Karzinom“. FARKOR war vom Innovationsausschuss beim G-BA finanziell gefördert worden.
Früherkennung: Neugeborenen-Screening
Der G-BA will das Neugeborenen-Screening weiter verbessern und überprüft, wie Familien am besten über den Verdacht auf eine schwerwiegende Erkrankung ihres Kindes informiert werden können, bei der mit der Behandlung schnell begonnen werden muss. Konkret geht es um die derzeitigen Regelungen zur Befundmitteilung von auffälligen Ergebnissen.
Zudem überprüft der G-BA kontinuierlich, ob neue Zielerkrankungen in das Neugeborenen-Screening aufzunehmen sind. Derzeit berät er über Vitamin B12-Mangelerkrankungen.
Thema: Früherkennung bei Kindern
Früherkennung bei Kindern und Jugendlichen: U10
Um die zeitliche Lücke zwischen Kinder- und Jugenduntersuchung zu schließen, ist geplant, eine zusätzliche U10 für Kinder zwischen 9 und 10 Jahren einzuführen. Angesichts der derzeit niedrigen Schutzimpfungsquote gegen Humane Papillomaviren – sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen – wird bei der U10 auch die Impfberatung der Eltern ein Thema sein.
Zusätzlich soll die hohe Akzeptanz des „Gelben Hefts“ genutzt werden, um Informationen aller Früherkennungsuntersuchungen zu bündeln und auch die aus dem zahnmedizinischen Bereich dort zu integrieren.
Früherkennung bei Kindern und Jugendlichen: Fettstoffwechselstörungen
Der G-BA befasst sich mit der Frage, in welchem Alter bei Kindern und Jugendlichen ein Screening auf familiäre Hypercholesterinämie (Fettstoffwechselstörung) eingeführt werden sollte. Das IQWiG wird mit einer Studienbewertung beauftragt. Auf dieser wissenschaftlichen Grundlage wird der G-BA darüber entscheiden, ob mit der Vorverlegung der Diagnosestellung und Behandlung durch ein generelles, laboranalytisches Screening ein besseres Überleben oder ein günstigerer Krankheitsverlauf erreicht werden kann. Ein Ziel wäre es beispielsweise, Folgeerkrankungen wie Probleme mit dem Herzen oder den Blutgefäßen (kardiovaskuläre Erkrankungen) zu vermeiden.
Geschlechtsangleichende Behandlungen bei Personen mit Geschlechtsdysphorie
Der G-BA setzt sich für eine gesetzliche Regelung ein, um den Leistungsanspruch für eine geschlechtsangleichende Behandlung für Personen mit einer Geschlechtsdysphorie rechtssicher zu fassen. Vorausgegangen war im vergangenen Jahr eine Entscheidung des Bundessozialgerichts, das den Leistungsanspruch einer non-binären Person auf eine Mastektomie mit Verweis auf eine fehlende Methodenbewertung des G-BA verneint hatte. Für Versicherte mit einer Geschlechtsdysphorie müsste bereits im Sozialgesetzbuch selbst ein Anspruch auf notwendige geschlechtsangleichende bzw. körperverändernde medizinische Maßnahmen definiert werden. Der G-BA kann dann mit der Umsetzung beauftragt werden. Ähnlich ging der Gesetzgeber bereits im Jahr 2019 bei der Kryokonservierung von Keimzellen und Keimzellgewebe für bestimmte Versicherte vor.
Psychotherapie und psychiatrische Versorgung
Berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung schwer psychisch kranker Kinder und Jugendlicher
Der G-BA wird im Frühjahr 2024 ein Versorgungsangebot für schwer psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche mit einem komplexen ärztlichen wie therapeutischen Behandlungsbedarf beschließen. Er wird damit das seit 2021 bestehende koordinierte und strukturierte Angebot für Erwachsene ergänzen. Ziel ist es, alle für die Versorgung im Einzelfall benötigten Gesundheitsberufe zu vernetzen, um Betroffenen schnell und bedarfsgerecht zu helfen. Das schließt auch Hilfen ein, wenn Patientinnen und Patienten zwischen stationärer und ambulanter Versorgung wechseln müssen.
Zudem hat der G-BA die schon bestehende Richtlinie für Erwachsene im Blick: Aufbauend auf ersten Evaluationsergebnissen und damit auf Erfahrung aus der Versorgungspraxis wird geprüft, inwieweit die Gründung der regionalen Netzverbünde erleichtert werden kann.
Thema: Komplexversorgung: Koordinierte Versorgung für schwer psychisch Erkrankte
Ambulante Psychotherapie
Der G-BA wird voraussichtlich im März 2024 beschließen, ob Eye-Movement-Desensitization and Reprocessing (EMDR) bei Erwachsenen mit posttraumatischen Belastungsstörungen als Behandlungsmethode im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzeptes der Systemischen Therapie angewendet werden kann. Bereits im Januar 2024 hatte der G-BA beschlossen, den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu erweitern und die Systemische Therapie in der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen anzubieten. Pressemitteilung und Beschlussdokumente vom 18. Januar 2024 sind auf der Website abrufbar.
Qualitätssicherung (QS)
Richtlinie zur Förderung der Transparenz und Sicherung der Qualität in der Versorgung
Der G-BA wird seine Beratungen für eine neue Transparenzrichtlinie fortsetzen – da u. a. das noch ausstehende Gesetz zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz zu berücksichtigen ist, ruht die Arbeit im Moment. Ziel der Richtlinie ist es bislang, verbindliche Normen zu setzen, damit Qualitätsergebnisse aller Leistungserbringer einrichtungsbezogen, risikoadjustiert, übersichtlich und verständlich auf einem Online-Vergleichsportal veröffentlicht werden können. Die einheitlichen Anforderungen sollen für Praxen und Kliniken gelten.
Weiterentwicklung der datengestützten QS
Der G-BA hat die Aufgabe, Leistungsbereiche für eine datengestützte einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung auszuwählen und entsprechende Verfahren zu entwickeln. Das heißt, im Lauf der Versorgung werden Behandlungsdaten von Patientinnen und Patienten erhoben und verglichen, um zu erkennen, ob und an welchen Punkten es Verbesserungsbedarf gibt. In seinem Eckpunktebeschluss vom April 2022 hatte sich der G-BA darauf verständigt, die datengestützte Qualitätssicherung weiterzuentwickeln. Beschlüsse zu den ersten 3 der insgesamt 15 datengestützten Qualitätssicherungsverfahren (QS-Verfahren) wurden im Jahr 2023 bereits gefasst: Sie werden zukünftig einfacher, praxisrelevanter und aufwandsärmer. Zur Weiterentwicklung weiterer sechs QS-Verfahren legt das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) im Juni 2024 seinen Bericht vor – im Anschluss sind die Beratung und die Umsetzung der Empfehlungen vorgesehen. Zudem wird der G-BA im Frühjahr 2024 das IQTIG zur Weiterentwicklung der qualitativen Beurteilung beauftragen. Schon im Januar hatte der G-BA beschlossen, eine Patientenbefragung für zwei QS-Verfahren zu entwickeln (Beschluss vom 31. Januar 2024).
Thema: Datengestützte Qualitätssicherungsverfahren: Messen und Bewerten von Behandlungsqualität
Qualitätskontrollen des Medizinischen Dienstes
Der G-BA definiert die Einzelheiten für die Qualitätskontrollen des Medizinischen Dienstes (MD) in Krankenhäusern: Im Jahr 2024 werden nun auch Details für Qualitätskontrollen hinsichtlich der Einhaltung der Zentrums-Regelungen festgelegt. In den Zentrums-Regelungen ist bundeseinheitlich für alle Krankenhäuser definiert, aus welchen besonderen Kompetenzen oder Ausstattungsmerkmalen sich Aufgaben ableiten können, für die finanzielle Zuschläge jenseits des patientenbezogenen Fallpauschalensystems von den Krankenkassen übernommen werden.
Evaluation von Qualitätsverträgen
In zeitlich befristeten Qualitätsverträgen können Kliniken und Krankenkassen erproben, ob sich die Qualität stationärer Behandlungsleistungen über gezielte finanzielle Anreizsysteme weiter verbessern lässt. Der G-BA legt Leistungen oder Leistungsbereiche fest, die sich für den Abschluss solcher Qualitätsverträge und eine anschließende Evaluation eignen. Für die im Juli 2022 festgelegten neuen vier Leistungsbereiche (Diagnostik, Therapie und Prävention von Mangelernährung; Multimodale Schmerztherapie; Geburten/Entbindung; stationäre Behandlung der Tabakabhängigkeit) hat der Evaluationszeitraum am 1. Januar 2024 begonnen. Die Evaluation aller Leistungsbereiche wird voraussichtlich Ende 2028 abgeschlossen sein.
Thema: Qualitätsverträge zwischen Krankenkassen und Kliniken
Mindestmengen für planbare Leistungen
Mindestmengen sollen bewirken, dass besonders schwierige (und planbare) Eingriffe aus Gründen der Qualitätssicherung nur von solchen Kliniken durchgeführt werden, deren Ärztinnen und Ärzte damit ausreichend Erfahrung haben. Der G-BA sieht vor, im Jahr 2024 seine Beratungen zu der Frage abzuschließen, ob in die derzeitige Mindestmenge zu Kniegelenk-Totalendoprothesen auch die unikondylären Schlittenprothesen und Revisionseingriffe nach Kniegelenk-Endoprothesen einbezogen werden sollten. Ebenfalls sollen die Beratungen zu einer neuen Mindestmenge für die kolorektale Chirurgie bei Darmkrebs beendet werden. Die Beratungen über die Festlegung neuer Mindestmengen für die Chirurgie bei Magenkarzinom und Karzinomen des gastroösophagealen Übergangs (AEG Typ I-III) sowie für Major-Leberresektion werden 2024 begonnen.
Zweitmeinung
In einem sogenannten Zweitmeinungsverfahren haben Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, offene Fragen zu einem empfohlenen Eingriff mit einer Ärztin oder einem Arzt mit besonderen Fachkenntnissen und Erfahrungen zu besprechen. Für elf Eingriffe hat der G-BA bereits die notwendigen Voraussetzungen geschaffen. Im Jahr 2024 entscheidet der G-BA über ein weiteres Verfahren: Dann können auch Patienten, denen ein Eingriff am lokal begrenzten und nicht metastasierenden Prostatakrebs empfohlen wird, eine unabhängige zweite ärztliche Meinung einholen.
Zudem wird der G-BA darüber beraten, ob und inwiefern die Zweitmeinungs-Richtlinie optimiert werden kann. In diese Beratungen fließen neben den Ergebnissen der vom G-BA beauftragten Evaluation der ersten beiden Verfahren, Mandeloperationen und Gebärmutterentfernungen, auch die Ergebnisse von zwei Projekten ein, die über den Innovationsfonds gefördert wurden: „ZWEIT – Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse von medizinischen Zweitmeinungsverfahren in Deutschland" und „MAKING SDM A REALITY – Vollimplementierung von Shared Decision Making im Krankenhaus“.
QS Bauchaortenaneurysma
Um optimale Voraussetzungen für die stationäre Versorgung von Patientinnen und Patienten mit behandlungsbedürftigem Bauchaortenaneurysma sicherzustellen, gelten für die Kliniken spezifische qualitätssichernde Mindestanforderungen. Im Jahr 2024 wird sich der G-BA mit der Frage der Personalanforderungen befassen, d. h. welche Gründe die Umsetzung dieser Anforderungen in der Praxis erschweren und inwieweit ggf. eine fachliche Weiterentwicklung der Richtlinie erforderlich ist.
Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL)
Mit der PPP-RL werden unter anderem verbindliche Mindestvorgaben für die Personalausstattung der stationären Einrichtungen für die psychiatrische und psychosomatische Versorgung definiert. Der G-BA entwickelt die Richtlinie stetig weiter, so auch in diesem Jahr. Zusätzlich wird sich der G-BA in diesem Jahr insbesondere mit einer Prüfung der bisher vorgesehenen Folgen beschäftigen, die greifen sollen, wenn die Mindestvorgaben von den Einrichtungen nicht eingehalten werden. Außerdem sollen die sogenannten Eingruppierungsempfehlungen konkretisiert werden, die bei der Ermittlung der Mindestvorgaben genutzt werden. Seit dem Jahr 2024 haben die Einrichtungen dabei die Wahl: Sie können entweder das bisherige Verfahren anwenden oder sich für die stärkere Nutzung der bereits zu Abrechnungszwecken erfassten OPS-Kodes entscheiden.
Veranlasste Leistungen
Hilfsmittelversorgung für Menschen mit komplexen Behinderungen
Im Jahr 2024 wird der G-BA einen Beschluss fassen, der für Menschen mit schweren, komplexen oder mehrfachen Behinderungen den Verordnungs- und Genehmigungsprozess vereinfachen soll. Da diese Patientinnen und Patienten oft auf eine Vielzahl unterschiedlicher und individuell angepasster Hilfsmittel angewiesen sind, ist die Versorgung mit Hilfsmitteln hier sehr anspruchsvoll – das betrifft die Bedarfsfeststellung, die Verordnung und den Genehmigungsprozess. Damit einhergehende zeitliche Verzögerungen stellen insbesondere im Kindesalter eine erhebliche Belastung dar, da sich wachstumsbedingt die Bedarfe schnell ändern können.
Thema: Hilfsmittel
Heilmittel
Der G-BA wird im Frühjahr 2024 entscheiden, ob die bisher in der Heilmittel-Richtlinie vorgegebenen Zeitbedarfe für die manuelle Lymphdrainage anzupassen sind. Nach Rückmeldung aus der Versorgung hatte der G-BA dazu im letzten Sommer Beratungen aufgenommen. Er geht dabei der Frage nach, wie die bisherigen indikationsbezogenen Vorgaben bei manueller Lymphdrainage in Einheiten von 30, 45 und 60 Minuten gegebenenfalls an aktuelle fachlich-therapeutische und medizinische Erkenntnisse anzupassen sind, um eine flexible, befundabhängige und patientenindividuelle Versorgung zu ermöglichen.
Thema: Heilmittel
Verordnungen im Rahmen der Fernbehandlung
Bereits jetzt macht der G-BA für die Verordnung von Leistungen wie Heilmittel, Rehabilitation und häusliche Krankenpflege per Videosprechstunde Vorgaben für Ärztinnen und Ärzte und sorgt damit für Rechtsklarheit. Im Jahr 2024 entscheidet der G-BA darüber, auch die Krankentransport-Richtlinie dahingehend anzupassen und die Verordnung von Krankentransport per Videosprechstunde zu ermöglichen.
Innovationsfonds
Verstetigung und Weiterentwicklung
Mit dem in Kürze erwarteten Inkrafttreten des Digital-Gesetzes steht fest: Der bislang bis Ende 2024 befristete Innovationsfonds bleibt bestehen. Das jährliche Fördervolumen des Innovationsfonds beträgt ab dem Jahr 2025 weiterhin jährlich 200 Mio. Euro.
Mit der Verstetigung verband der Gesetzgeber nochmals einige Änderungen, die bereits in 2024 wirksam werden. Beispielsweise wird das zweistufige Förderverfahren im Bereich der neuen Versorgungsformen, das in eine Konzeptentwicklungs- und Durchführungsphase untergliedert ist, durch einstufige Verfahren ergänzt: Basis sind (Voll-)Anträge auf eine kurze Förderung von max. 24 Monaten oder eine lange Förderung von max. 48 Monaten. Zu den Änderungen gehört auch, dass die gesetzliche Vorgabe entfällt, wonach jeweils höchstens 20 Prozent der jährlichen Fördersumme für themenoffene Förderbekanntmachungen verwendet werden darf.
Zudem wird durch die Gesetzesänderung zukünftig nachvollziehbarer, wie mit den Empfehlungen des Innovationsausschusses zur Überführung erfolgreicher Versorgungsansätze in die Versorgung umgegangen wird: Die in den Beschlüssen angesprochenen Institutionen und Organisationen sind nun verpflichtet, dem Innovationsauschuss innerhalb eines Jahres über die Umsetzung der übermittelten Ergebnisse zu berichten. Alle Rückmeldungen werden weiterhin auf der Website des Innovationsauschusses beim jeweiligen Beschluss veröffentlicht.
Neue Förderbekanntmachungen
Voraussichtlich schon im März 2024 wird der Innovationsausschuss die ersten Förderbekanntmachungen im Bereich der neuen Versorgungsformen veröffentlichen. Die nächste Förderbekanntmachung im Bereich der Versorgungsforschung (auch zu medizinischen Leitlinien) ist für Juni 2024 geplant.
Weiteres Konsultationsverfahren
Der Innovationsausschuss wird 2024 erneut ein Konsultationsverfahren für Vorschläge zu Themen und Kriterien für eine Förderbekanntmachung starten. Die Bekanntmachung wird voraussichtlich im zweiten Quartal 2024 veröffentlicht.
Voraussichtlich 116 Abschlussberichte von Projekten im Jahr 2024
Der Innovationsausschuss betreut derzeit über 300 laufende Projekte aus den Bereichen neue Versorgungsformen und Versorgungsforschung. Im laufenden Jahr werden zusätzlich voraussichtlich 116 Projekte ihre Abschlussberichte vorlegen. Nach Auswertung der Projektergebnisse beschließt der Innovationsausschuss, ob sie in die Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung überführt werden sollen und an welche Organisationen der Selbstverwaltung oder andere Einrichtungen die gewonnenen Erkenntnisse gezielt weiterzuleiten sind.