Orphan Drug bei multiplem Myelom: G-BA muss gesetzlich unterstellten Zusatznutzen formal bescheinigen
Berlin, 5. Oktober 2023 – Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat aufgrund der gesetzlichen Vorgaben das erneute Bewertungsverfahren zum Wirkstoff Belantamab-Mafodotin abgeschlossen und musste einen Zusatznutzen bescheinigen, obwohl eine Zulassungsbestätigung des Arzneimittels derzeit unsicher ist. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hatte zwar bereits empfohlen, die ursprünglich unter Auflagen befristete Zulassung des Wirkstoffs nicht zu verlängern. Derzeit fehlt jedoch noch die finale Entscheidung der Europäischen Kommission. Der G-BA musste daher das Verfahren zur erneuten Bewertung des Zusatznutzen zu Ende führen und attestierte dem Wirkstoff aus formalen Gründen einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen. Zuvor hatte der G-BA bereits im Jahr 2020 eine erste Bewertung des Wirkstoffs vorgenommen und diese zweimal verlängert, um die von der EMA geforderten zusätzlichen Daten des Herstellers zu Aspekten wie Unbedenklichkeit und Wirksamkeit einbeziehen zu können.
Belantamab-Mafodotin ist ein sogenanntes Orphan Drug, also ein Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens. Für Orphan Drugs gilt der Zusatznutzen bereits mit der Zulassung als belegt, der G-BA entscheidet nur noch darüber, welchen Umfang der Zusatznutzen hat. Lässt sich dieser Umfang aufgrund der vom pharmazeutischen Hersteller eingereichten Unterlagen nicht konkretisieren, gilt er als „nicht quantifizierbar“ Die Feststellung, dass mit dem Orphan Drug kein Zusatznutzen oder sogar ein Schaden verbunden ist, ist dem G-BA hingegen generell verwehrt.
Dazu Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA: „Wir haben es hier mit einer sehr speziellen Konstellation zu tun, die keinen zufrieden stellen kann: Der G-BA musste einen Wirkstoff bewerten, für den verfahrenserleichternde Sonderregeln als Orphan Drug gelten, obwohl dessen generelle Zulassung unklar ist. Denn die EMA – wie auch schon zuvor die amerikanische Arzneimittelbehörde – sieht aufgrund der nachgeforderten und vom Hersteller gelieferten Daten leider kein positives Nutzen-Risiko-Profil mehr und spricht sich auf Basis aktueller Daten zur Unbedenklichkeit und Wirksamkeit gegen eine reguläre Zulassung aus. Da die finale Entscheidung der Europäischen Kommission noch aussteht, musste der G-BA sein Bewertungsverfahren abschließen und konnte nur einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen aufgrund der gesetzlichen Fiktion eines Zusatznutzens bei Orphan Drugs bescheinigen. Für die Patientinnen und Patienten wie ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist die offene Zulassungsfrage eine sehr schwierige Situation.“
Belantamab-Mafodotin bei multiplem Myelom
Belantamab-Mafodotin ist zugelassen als Monotherapie zur Behandlung von Erwachsenen, die an einem multiplen Myelom erkrankt sind – ab der fünften Therapielinie, also in einem späten Behandlungssetting. Das Orphan Drug hatte nur eine sogenannte bedingte Zulassung erhalten. Verbunden damit war die Verpflichtung des pharmazeutischen Unternehmers, weitere umfassende klinische Daten über die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit vorzulegen. Die der EMA vorgelegten Studiendaten bildeten auch die Bewertungsgrundlage für den G-BA.
Hintergrund: Nutzenbewertung von Orphan Drugs
Für Orphan Drugs gilt nach § 35a Abs. 1 Satz 11 SGB V der medizinische Zusatznutzen bereits durch die Zulassung als belegt. Nur das Ausmaß des Zusatznutzens wird durch den G-BA bewertet. Grundlage sind dabei die Zulassungsstudien. Eine Nutzenbewertung gegenüber einer Vergleichstherapie ist erst dann möglich, wenn der Umsatz des Arzneimittels über 30 Mio. Euro liegt.